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Denkanstoß 35
"Freude"


Vielleicht wird es Sie wundern, aber Freude spielt in unserem Berufsalltag als Bestatter eine große Rolle. Die Trauernden, die zu uns kommen, erleben die schlimmsten Momente ihres Lebens. Die Mutter, der Vater, die Partnerin, der Partner, die Freundin, der Freund, die Tochter oder der Sohn ist gestorben. Der Tod eines geliebten Menschen ist für viele schlimmer als der eigene Tod. Die Dichterin Mascha Kaléko hat das in ihrem Gedicht Memento ganz wunderbar ausgedrückt:

Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang,
Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?

Allein im Nebel tast ich todentlang
Und laß mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.

Der weiß es wohl, dem gleiches widerfuhr;
– Und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,
Doch mit dem Tod der andern muß man leben.

Menschen in den dunkelsten Stunden beizustehen, ist für uns als Bestatter etwas Erfüllendes. Beistand zu leisten, da zu sein, helfen zu können, bereitet uns im wahrsten Sinne des Wortes Freude.

Wer in tiefer Trauer ist, für den scheint der Gedanke wieder Freude empfinden zu können, sehr weit weg. Die Welt erscheint dunkel und trostlos. Durch die Art, wie wir mit den Angehörigen den Abschied organisieren und gestalten, versuchen wir eine besondere Form der liebevollen Erinnerung möglich zu machen. Viele Trauernde öffnen sich uns gegenüber in den Gesprächen und erlauben so eine große Nähe herzustellen. Vertrauen entsteht und mit der Zeit ist da nicht nur der Schmerz und die Verzweiflung, einen geliebten Menschen unwiederbringlich verloren zu haben, mit der Zeit spürt man ein Gefühl der Dankbarkeit für die schönen Stunden, die man mit dem Verstorbenen verbringen durfte. Man erinnert sich an liebevolle Blicke, zärtliche Berührungen und wunderbare Gespräche. Und auf einmal ist da neben der Trauer Freude spürbar, dass es den Menschen, der gestorben ist, gegeben hat.

Möglich wird das dadurch, dass man eben nicht versucht, vor der Trauer davon zu laufen, sich abzulenken, oder den Schmerz zu verdrängen. Im Gegenteil, der Abschied bietet die Chance sich dem Verstorbenen noch einmal intensiv zuzuwenden. Wir raten den Trauernden, sich einige Zeit an den offenen Sarg zu setzen, sich zu erinnern, vielleicht noch einmal das Wort an den Toten zu richten und so wirklich Abschied zu nehmen. Den Toten zu sehen, ihn noch einmal zu berühren, hilft mit allen Sinnen zu begreifen, was geschehen ist.

Familienangehörigen, Freunden und Verwandten die Möglichkeit zu geben, sich persönlich zu verabschieden, all das stärkt die Gefühle, die Nähe und Verbundenheit entstehen lassen. Zusammen zu trauern, schafft ein starkes Gemeinschaftsgefühl und hilft mit der neuen Situation umzugehen.

Trauerfeiern bieten die Chance, Familienbande enger zu knüpfen und Menschen zu treffen, die man vielleicht viele Jahre nicht gesehen hat. Wenn es gelingt, aus dem Abschied eine wahre Feier zu machen, kann auch so das Gefühl der Freude entstehen. Wir haben auf Beerdigungen Situation erlebt, wo außer tiefer Trauer auch immer wieder Fröhlichkeit zu spüren war, weil es den Verwandten und Freunden gelang, die schönen Momente, die sie mit dem Verstorbenen erlebt haben, aufleben zu lassen.

Es gibt aber auch Trauerfeiern, bei denen man das Gefühl hat, dass sie nur als Pflichtveranstaltungen empfunden werden und nach Ritualen ablaufen, die den Verstorbenen oft nicht gerecht werden. Da reden Menschen über die Toten, die sie gar nicht gekannt haben, die Lieblingssongs der Verstorbenen schallen durch kalte Trauerhallen und nach 25 Minuten ist der lieblose Spuk vorbei.

In einer solchen Situation kann natürlich keine Freude aufkommen.

Wenn eine Trauerfeier ohne Zeitdruck an einem Ort stattfindet, der dem Verstorbenen etwas bedeutet hat, wenn Familienangehörige und Freunde über den Verstorbenen erzählen und so die gemeinsam verbrachten Stunden noch einmal aufscheinen lassen, wenn beim Abschied geweint, gelacht und sich liebevoll erinnert wird, dann können auch Trauernde Freude empfinden.

Herzlichst

Hanna Thiele-Roth David Roth

Bergisch Gladbach im Februar 2019

Gerne können sie uns zum Thema Denkanstoß auch eine E-Mail schicken an:
kd23c52836c504f66a74f0f82fb325c0e.reichert@8f4dea7f267a413a808cca0e7e25cf6epuetz-roth.de, Stichwort „Denkanstoß”


Rückmeldungen


Zu diesem Denkanstoß "Freude" haben wir schöne und bewegende Rückmeldungen erhalten. Hier einige der Mails, die uns erreicht haben:
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Danke für den Denkanstoß, er gefällt mir ganz besonders gut und bereichert auch wieder meine Arbeit.
Macht bitte weiter so, es ist ein dankbarer Weg, wenn auch mit vielen Steinen belegt, die uns hin und wieder daran erinnern inne zu halten oder uns für eine kleine Weile aufzuhalten, Immer entstehen dann neue Ideen.
Herz-lichste Grüße
Margit Steiner
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Sie sprechen mir aus vollem Herzen!
Vielen Dank. Wenn es gelingt aus dem Abschied eine wahre Feier zu gestalten. Das möchte ich einmal für unsre Mutter realisieren. Dann rufe ich Sie wahrscheinlich an.
HG
Petra Schuseil vom Totenhemd-Blog
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Sehr geehrte Frau Roth,
sehr geehrter Herr Roth,

es wird Zeit, dass ich Ihnen einmal für Ihre Denkanstöße danke, insbesondere, weil das Gedicht von Frau Mascha Kaléko "Memento" das ausdrückt, was auch ich empfinde. Der überlebende Ehepartner ist in meinen Augen derjenige, dem das Schicksal nicht hold ist.
Und zur Freude: als Katholik bin ich immer wieder frustriert darüber, wie die "normale Beerdigung" abläuft. Mir fehlt die Freude, dass der Verstorbene nun seine Freude bei Gott gefunden hat.
Ich werfe meinen Mitmenschen manchmal vor, das Neue Testament vor lauter Enttäuschung über die Kreuzigung Jesu nicht weiter gelesen zu haben.

Deshalb habe ich meine Beerdigungsfeier zu Papier gebracht.
Sie werden sie ja kennenlernen - es muss ja nicht bald sein!

Mit freundlichen Grüßen
F.-J. Muschiol
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Liebe Familie Roth,

in früheren Jahren schrieb ich schon mal ab und an, wenn auch selten an Fritz Roth, der mich innerlich lange begleitete, und dessen Sein & Wirken ich in meinem Herzen sehr wertschätzte. Ihr heutiges Schreiben animiert mich in einem spontanen Impuls, etwas über mein / unser persönliches Erleben von Freude im Zusammenhang des Sterbens eines nahen Menschen zu teilen.

An einem Sonntag im Sommer 2004 waren meine damalige Ehefrau (die aus dem Iran stammt) unsere ältere Tochter (die ebenfalls im Iran geboren wurde) und ich in Stuttgart auf einem sog. Kana-Familientreffen der Bewegung Chemin Neuf. Meine Frau hatte sich irgendwann entschlossen zum Christentum zu konvertieren, und auch meine Tochter wurde christlich getauft... Wir hatten dann irgendwann begonnen auf den Impuls eines nahen französischen Familienfreundes und Diakons Kontakt zu der Gemeinschaft von Chemin Neuf aufzubauen und an deren Kana-Angeboten
für Paare und Familien teilzunehmen....

Wir waren an diesem Sonntagnachmittag noch nicht ganz zu Hause, in unserem Haus in der Südpfalz angekommen, als das Telefon klingelte. Ich hatte noch nicht meine Jacke und Schuhe ausgezogen. Wir waren gerade ins Haus eingetreten.
Am anderen Ende der Telefonleitung sprach die Freundin unseres 20-ig jährigen Sohnes (ebenfalls im Iran / Teheran geboren). Sie war sehr aufgeregt und berichtete von einem schlimmen Autounfall unseres Sohnes, der gemeinsam mit seinem besten Freund, in seinem vor kurzem erworbenen Auto, in dem verunglückten Wagen war. Die Freundin war in einem vorausfahrenden Fahrzeug gewesen, und beobachtete den Unfall im Rückspiegel. Der Unfall geschah, nur wenige Meter von unserem Wohnhaus entfernt. Auf der Stelle spurteten meine Frau, unsere Tochter und ich ins Auto und fuhren zu der Unfallstelle, die nur ca. 3 - 5 Fahrminuten von unserem Haus entfernt lag. Wir kamen dort noch vor Polizei, Feuerwehr und Notarzt und Rettungssanitäter an....

Unser Sohn und sein Freund hatten sich scheinbar mit dem Wagen überschlagen und sind dann mit dem Dach frontal gegen einen Baum geprallt... Sie waren im Wagen eingeklemmt. Der Wagen sah schlimm aus. Die beiden gaben kein Lebenszeichen von sich. Wir sahen relativ viel Blut.
Später erfuhren wir laut offiziellem Notarzt-Bericht, dass beide Jungs auf der Stelle nach dem Aufprall gegen den Baum, durch Genickbruch gestorben wären.
Wir hatten jedoch den Eindruck dass unser Sohn uns noch wahrnehmen konnte, und noch da war. Er wäre 8 Tage später 21 Jahre alt geworden. Sein bester Freund, der mit ihm starb, wäre noch einige Tage früher 21 Jahre alt geworden.

Bis Polizei, Feuerwehr, Notarzt, Rettungskräfte usw. eintrafen, waren wir ganz nah bei unserem Sohn, nur durch die demolierte die beiden Jungs einklemmende Karosserie getrennt.
Meine Frau sang unter Tränen, für ihn sein Wiegenlied, das sie ihm immer als Baby und Kleinkind gesungen hatte. Die beiden hatten ein außergewöhnlich inniges und tiefes Mutter-Sohn Verhältnis, und hatten miteinander seit seiner Geburt in Teheran viel Schwieriges erlebt, das sie sehr tief miteinander verband...

Nun in der Folge beschlagnahmte die Polizei den Leichnam unseres Sohnes, da die Unfallumstände nicht geklärt waren und wohl u.a. der Verdacht bestand,
dass Drogen in diesem Unfallgeschehen eine Rolle gespielt haben könnten. Was sich aber nicht bestätigte. Der genaue Unfallhergang ist bis heute nicht geklärt. Es war kein zweites Fahrzeug direkt mit involviert und in Mitleidenschaft gezogen worden. Aus nicht geklärten Gründen kamen unser Sohn und sein Freund von der Fahrbahn ab überschlugen sich ein paar Mal über die gesamte Breite der Fahrbahn und prallten dann auf der gegenüberliegenden Seite mit dem Autodach frontal gegen einen Baum. Unser Sohn als Fahrzeughalter / Besitzer und Fahrer, hatte erst relativ kurze Zeit zuvor seinen Führerschein erworben und von uns dieses gebrauchte Fahrzeug geschenkt bekommen.

Der beschlagnahmte Leichnam unseres Sohnes wurde zunächst in einem Leichenraum der Justiz in einer von unserem Wohnort nahegelegenen Stadt aufbewahrt, bevor er dann später irgendwann in die Leichenhalle am Friedhof unseres Wohnortes gebracht wurde. Während unser Sohn dort lag, bekam ich irgendwann einen Anruf von dort. Mir wurde mitgeteilt das der Leichnam jetzt freigegeben wurde, und die Frage gestellt, ob wir als Familienangehörige selber den Leichnam unseres Sohnes waschen und neu anziehen wollten...
Meiner Frau ging es sehr schlecht in dieser Zeit. Sie war schon zuvor psychisch sehr labil gewesen und besuchte in dieser Zeit auch regelmäßig eine iranische Psychotherapeutin zur psychotherapeutischen Unterstützung. Ich war mir sehr unsicher, wie ich auf den Anruf und die Frage reagieren und antworten sollte und erbat mir Bedenkzeit.

Die ganze iranische Großfamilie war mittlerweile in unserem Haus versammelt. Ich beriet mich mit den nahen Familienangehörigen meiner iranischen Frau.
Alle rieten vehement davon ab, dass meine Frau unseren Sohn waschen und anziehen sollte. Sie meinten alle, dass dies zu schwierig für meine Frau sei, sie das nicht schaffen und verkraften könne; zusammenbrechen würde usw.
Meine innere Stimme sagte mir etwas anderes.
Ich kannte meine Frau obgleich vielfältiger psychisch-seelischer Probleme als sehr starke Frau und Löwinnen-Mutter und meine innere Stimme sagte mir irgendwie unbewusst, trotz aller Zweifel und Einwände, das sie ihren Sohn waschen und anziehen wolle und müsse...

Ich rief die iranische Psychotherapeutin von meiner Frau an, die ich gut kannte, denn ich war öfters bei den psychotherapeutischen Sitzungen mit dabei gewesen.
Ich frage sie nach ihrer Meinung und Einschätzung. Sie sagte ganz klar und eindeutig, dass dies nur meine Frau ganz alleine selber entscheiden könne,
und man ihr diese Wahl und Entscheidung nicht vorenthalten oder abnehmen könne.
Ich sollte also meiner Frau von diesem Anruf berichten und sie fragen, ob sie ihren Sohn waschen und anziehen wolle.
Mir war sofort eindeutig klar, dass die Psychologin das "richtige" und "stimmige" sagte, und mir war auch sofort (eigentlich schon zuvor) klar, wie meine Frau sich entscheiden würde...

So fuhren meine Frau und ich zu unserem Sohn, um ihn gemeinsam zu waschen und seine Kleider zu tauschen und ihn neu und frisch anzuziehen...
Auch nach jetzt fast 15 Jahren kann ich von mir aus sagen, dass ich wohl kaum in meinem Leben etwas schöneres, freudvolleres, tieferes, harmonischeres,
wenn zugleich auch sehr schmerzliches als in diesen Momenten erfahren habe. Es waren absolut heilige und magische Momente.

Wir wurden sehr behutsam und achtsam in den Raum geführt wo unser Sohn lag, dann wurden wir alleine gelassen.
Meine Frau begann an zu singen und ihn zärtlich zu berühren und zu streicheln, in einer Zärtlichkeit, Präsenz, Liebe und Behutsamkeit und Achtsamkeit, die mir nicht von dieser Welt schien.
Auch ich begann meinen Sohn zu berühren und zu streicheln.
Dann begannen wir gemeinsam ihn in aller Zärtlichkeit und Behutsamkeit mit aller Zeit der Welt langsam auszuziehen, zu waschen und neu anzuziehen...
Ich assistierte meiner Frau so gut ich konnte, und war von der Präsenz und Tiefe dieser Momente, dieser Atmosphäre „gebannt“...

Die Welt schien still zu stehen, in dieser so außergewöhnlichen zeitlosen Zeit, in diesem raumlosen Raum, in diesem so außergewöhnlichem Erleben, von tiefster Schönheit, tiefster Freude, tiefster Zärtlichkeit, tiefster Liebe,
großer Behutsamkeit und tiefstem Schmerz.
Meine Frau hörte nicht auf unter Tränen, sein Wiegenlied zu singen und ihn zu berühren und zu streicheln, mit ihm in einer unfassbaren Präsenz in einem unglaublich tiefen Kontakt zu bleiben, bis wir uns von unserem Sohn mit einem unter Tränen und Schmerzen verborgenen und doch so deutlich wahrnehmbaren Lächeln voller Liebe und Freude verabschiedeten....

Gleichzeitig zeigte meine Frau eine enorme unvorstellbare innere Kraft und Stärke, in keinem Moment, schien sie von ihrem Schmerz, ihrer Trauer überwältigt zu werden, darin zu versinken.
Sie war einfach nur in der 1000-prozentigen Präsenz für und mit ihm da. Jeder Handgriff, jede Bewegung war absolut stimmig und "proffesionell" (Sie hatte viel Erfahrung im bereich der Pflege),
und gleichzeitig von einer Liebe, Präsenz, Behutsamkeit, Zärtlichkeit und Würde durchtränkt die nahezu unmenschlich, unwirklich erschien... 

Nie zuvor und nie danach habe ich eine solche tiefe Schönheit, Harmonie, Freude und Schmerz zugleich erfahren und wahr-nehmen können.

Viele Jahre später las und hörte ich zum ersten Mal die Worte von Thích Nhất Hạnh:
.... " Meine Freude ist wie der Frühling. So warm, dass sie die Blumen auf der ganzen Erde erblühen lässt. Mein Schmerz ist wie ein Tränenstrom. So mächtig, dass er alle vier Meere ausfüllt.
Bitte, nenne mich bei meinem wahren Namen! Damit ich all mein Weinen und Lachen zugleich hören kann. Damit ich sehe, dass meine Freude und mein Schmerz eins sind." ....

Mein Herz wusste sofort, fühlte sofort in aller Tiefe, was diese Worte von Thay in seiner Tiefe bedeuten, was hinter diesen Worten verborgen lag...
Ja, wir hatten dies zutiefst in diesen Augenblicken mit unserem Sohn erfahren, dass tiefste Freude und Schmerz, all das Weinen und Lachen zugleich da sein können, da sind!

Ich habe jetzt viel und sehr persönliches, intimes geschrieben mit geteilt...
Ich bin einfach einem spontanen Impuls, einer spontanen Eingebung gefolgt...

Ich habe dies jetzt auch an und für Fritz Roth geschrieben, in dankbarer und wertschätzender Er-Innerung an sein, Sein und Wirken.

Ich danke Ihnen von Herzen, das sie sein Wirken, sein Lebenswerk nun in ihrem Leben, mit ihrem Leben und in ihrer Art und Weise fortführen...
Ihnen auf diesem Weg weiterhin alles Gute und von Herzen Segen und Glückwünsche!

Mit herzlichen Grüßen.

(Für diese sehr persönlichen Zeilen als Rückmeldung auf unseren Denkanstoß sind wir sehr dankbar. Auf Wunsch des Verfassers möchten wir seinen Namen hier nicht veröffentlichen.)
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Liebe Familie Roth,

Danke für den immer wieder interessanten Newsletter.

Ich habe ihn mit Interesse gelesen und bin über einen Absatz gestolpert, der mir als Trauerrednerin und Trauerbegleiterin (in Ausbildung) wirklich Bauchschmerzen macht.

"Es gibt aber auch Trauerfeiern, bei denen man das Gefühl hat, dass sie nur als Pflichtveranstaltungen empfunden werden und nach Ritualen ablaufen, die den Verstorbenen oft nicht gerecht werden. Da reden Menschen über die Toten, die sie gar nicht gekannt haben, die Lieblingssongs der Verstorbenen schallen durch kalte Trauerhallen und nach 25 Minuten ist der lieblose Spuk vorbei."

Ich finde es schade, dass in einem Absatz verbunden wird, dass es lieblose Trauerfeiern gibt, die als Pflichtveranstaltungen empfunden werden + Da reden Menschen über die Toten, die sie gar nicht gekannt haben…

Ja, es gibt solche „Veranstaltungen“, aber nur weil ein Mensch über den Verstorbenen redet, den er nicht kannte und Musik, gespielt wird, die dem Toten etwas bedeutet hat, heißt das ja nicht zwingend, dass es ein „liebloser Spuk“ ist.

Ich bin seit einem Dreiviertel Jahr Trauerrednerin und das mit Leib und Seele. Ich mache meine Angehörigengespräche immer persönlich, nur im absoluten Notfall per Telefon (z.B. wenn ich noch Infos von Familienangehörigen haben möchte, die weiter weg wohnen und am Gespräch nicht teilnehmen können), nehme mir zwei bis drei Stunden Zeit und bleibe so lange mit den Angehörigen in den Erinnerungen, bis ich das Gefühl habe, ich habe den Toten persönlich gekannt. In diesen Gesprächen kommt alles vor: Tränen, Lächeln, Lachen. Und ich ermutige die Angehörigen auch bei der Musikauswahl Lieder zu wählen, die wirklich zum Toten passten und die auch den Angehörigen gut tun. Gerade in unserer sehr katholisch geprägten „Beerdigung-Kultur“ sind da oft ganz große Hemmungen, auch mal Rock oder Pop zu spielen, obwohl das dann besser passen würde als irgendwelche „guten“ Beerdigungslieder… Es schwingt da oft die Angst mit „Was werden die anderen sagen?“

Ich rege oft noch an, persönliche Grabbeigaben auszuwählen, Briefe zu schreiben, den Sarg oder die Urne zu bemalen etc. So dass die Trauernden selber aktiv werden können. Ich schlage Rituale vor und wir suchen dann gemeinsam aus, welches Ritual wirklich passt oder ob es überhaupt ein Ritual sein soll. Auch das Vater Unser wird oft gewünscht, da mindestens 50% der Verstorbenen noch in der Kirche waren, ihren Glauben hatten, aber mit dem „Bodenpersonal“ nichts mehr zu tun haben wollten.

Und ich bin so glücklich, wenn ich nach dem Gespräch nach Hause gehe und spüre, dass ich den Angehörigen die Angst vor dem Abschied nehmen konnte. Und nach den Trauerfeiern gehe ich beglückt nach Hause, wenn ich merke, dass der Abschied so war, wie die Angehörigen es wollten, wie es ihnen gut tat.

Um es kurz zu machen: Auch wenn ich den Verstorbenen nicht gekannt habe, setze ich soviel Herzblut und Arbeit in die Gestaltung der Trauerfeier und Rede, dass ich als Rückmeldung immer bekomme „Es war traurig, aber es war ein guter Tag“. "Ein guter Tag“, „ein schöner Abschied" - mehr Lob geht für mich als Trauerrednerin nicht.

Es wäre schön, wenn Sie in einem Ihrer nächsten Newsletter das Thema „TrauerrednerInnen“ aufnehmen könnten. Denn tatsächlich gibt es da große Qualitätsunterschiede, vom „ Routinier mit Profi-Betroffenheitsmiene“ bis hin zu TrauerrednerInnen, die sich wirklich für die Verstorbenen und Angehörigen interessieren und denen es eine Herzensangelegenheit ist, einen guten Abschied zu ermöglichen. Einen ganz persönlichen, individuellen Abschied, der für den Trauerweg, der vor den Angehörigen und Freunden liegt, hilfreich ist. Es gibt ja durchaus Kriterien, anhand derer man schon vorab feststellen kann, wie emphatisch ein Mensch ist. Anrufe, die Stimme schon mal hören, Empfehlungen von Angehörigen, genaues Nachfragen über den Ablauf, ohne dass der „Dienstleister „ ungeduldig wird. Können auch Ecken und Kanten des Verstorbenen angesprochen werden und so weiter. Ich fände das ein wichtiges Thema.

Mir sagte mal ein Bestatter (!) „irgendwann ist das für Sie auch Routine und Sie spulen Ihre Fragen nur noch ab“… Meine Antwort war: „Wenn das der Fall ist, dann gebe ich den Beruf auf“. Und so wäre das dann auch.

Ganz herzliche Grüße

Franziska Feldsieper
www.beruehrende-reden.de
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