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Denkanstoß 43
"Lockup"

Endlich wieder einkaufen gehen, bei einem Cappuccino auf der Terrasse des Lieblingscafes im Freien sitzen oder mit Freunden joggen und Fußball spielen. Nach Wochen der gesellschaftlichen Enthaltsamkeit kann das Leben wieder Fahrt aufnehmen.

Leider gilt das nicht für Menschen, die von einem Freund oder Verwandten Abschied nehmen müssen. Die Trauerhallen sind nur sehr eingeschränkt und unter hohen Auflagen nutzbar. Abschiede sind nur im kleinen Kreis und im Freien möglich. Um ein Grab dürfen sich zwar mehr Leute versammeln, aber auch dort muss Abstand gehalten werden und ein längeres Beisammensein ist nicht erlaubt. Diese Regelungen gelten noch mindestens bis zum 5. Juni.

Trost in der Gemeinschaft könnte man im Moment im Videochat finden. Aber wer macht das schon? Auch die virtuelle Welt ist eng und klein, wenn es um wirkliche Gemeinschaft geht und nicht um das Pseudozusammensein auf facebook, instagram und in anderen sozialen Netzwerken.

Es geht um das Gefühl der Verbundenheit. Und das ist im Netz nur sehr eingeschränkt möglich. Es geht noch nicht mal darum, dass man diese Floskel sagt, ‚herzliches Beileid‘, sondern dass man sieht, dass Menschen da sind, dass man diese vielfältigen Zeichen erlebt, eine Hand auf der Schulter, ein liebevoller Blick in die Augen, es muss ja in diesen Zeiten kein Händedruck und keine Umarmung sein.

Abstand halten ist das Gebot der Stunde. Die über 8100 an oder mit Corona gestorben Menschen waren in ihrer letzten Stunde allein. Was für eine grausame Vorstellung. Durch die große Ansteckungsgefahr war das nötig, auch wenn uns der Gedanke an die Einsamkeit der Sterbenden das Herz bricht. Von einem Leichnam geht eine deutlich geringere Gefahr aus und wenn man die Hygieneregeln beachtet und den Toten nicht zu nahe kommt, ist ein persönlicher Abschied trotz Corona möglich. Nähe schaffen und sich gleichzeitig an die Abstandsregeln halten, das versuchen wir im Moment den Trauernden zu ermöglichen.

Auch während des Abschieds und der Trauerfeier müssen die Abstandsregeln eingehalten werden. Trotzdem kann man in diesem schweren Moment in der Gemeinschaft Trost finden.

Es tut in diesem traurigen Moment des Abschieds gut, Geschichten mit Ereignissen geschenkt zu bekommen, die andere mit dem Verstorbenen erlebt haben. Diese persönlichen Geschichten und liebevollen Gesten sind es, die uns Verbundenheit spüren lassen. Trauer braucht Gemeinschaft. Die Kontaktsperre ist da leider eine große Hürde. Trotzdem ist es möglich, auch jetzt zusammen Abschied zu nehmen. Für die Menschen, die in den letzten Wochen zu uns kamen, haben wir Wege gefunden, diesen schweren Weg nicht allein gehen zu müssen. Und auch in den nächsten Wochen werden wir für Trauernde da sein und einen würdigen Abschied ermöglichen.

Der Lockdown hat auf der anderen Seite dazu geführt, dass viele Menschen zum ersten Mal in ihrem Leben die Chance hatten, inne zu halten und sich auf Wesentliches zu konzentrieren. Auch das haben wir in den letzten Wochen immer wieder erlebt. Dass auf einmal mehr Zeit war, sich mit dem Tod und dem Abschied zu beschäftigen. Zeit zum Nachdenken, wie man gerne Abschied nehmen möchte.

Wer diesen Moment der Ruhe nutzen kann, um über das Leben, das Sterben und den Tod nachzudenken, der kann etwas Positives aus dem Lockdown mitnehmen. Nachdenken über das eigene Ende führt fast immer dazu, Dinge im Leben zu verändern.

Herzlichst


Hanna Roth             David Roth

Bergisch Gladbach im Mai 2020

Gerne können sie uns zum Thema Denkanstoß auch eine E-Mail schicken
an kab4dc05759f24c258f3eb9f466c3a1af.reichert@2d129beb0caa4831b4e563d4a058d7bepuetz-roth.de, Stichwort „Denkanstoß”


Rückmeldungen

Zu diesem Denkanstoß "Lockup" haben wir schöne und bewegende Rückmeldungen erhalten. Hier eine der Mails, die uns erreicht hat:

Liebes Team,
ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihre heutige Info, die mir Trost in dieser eigenartigen Corona-Zeit gibt.

Ich finde es wunderbar, wie Sie immer wieder versuchen, Trauernden die Möglichkeit zu geben, sich von ihren geliebten Verstorbenen zu verabschieden, sogar in diesen schwierigen und schweren Zeiten.

Kürzlich erhielt ich die Nachricht von einer befreundeten Familie in der Nähe von London, dass der Vater mit Corona nach mehreren Wochen gestorben ist. Live über Video konnte ich die kurze Trauerfeier im Krematorium verfolgen. Bei Hindus findet die Verabschiedung immer am offenen Sarg statt mit vielen Zeremonien und Blüten, die auf die Leiche gestreut werden. Hier war der geschlossene Sarg aufgebahrt und die Familie hatte, nachdem der Mann ins Krankenhaus kam, ihn nicht ein einziges Mal mehr sehen dürfen. Auch er ist wie viele andere einsam gestorben. Das schmerzt sehr. Und ich denke aber mit Dankbarkeit an die schöne, wenn auch traurige Feier, die wir bei Ihnen für meinen verstorbenen Mann im September 2018 abhalten konnten.

In diesen Tagen erinnere ich mich an meinen Großvater, der 1961 starb. Vor dem Begräbnis konnten wir seine Leiche noch sehen, die im Sarg mit einer Plastikhaube überdeckt war. Könnte man das nicht auch heute noch machen, wenn Leute zu große Angst vor Ansteckung haben? Damals hatte ich mich als Jugendliche sehr darüber gewundert, denn mein Opa war an keiner ansteckenden Krankheit gestorben.

Es tut sehr gut von Ihnen zu wissen, dass man immer noch die Leiche sehen kann, wenn man nicht zu nahe tritt. Warum nur geht man so hart mit den Trauernden um?

Mit freundlichen Grüßen und nochmaligem herzlichen Dank,
CS Parmar