Denkanstoß 13 – e-Trauer

Verena K. ist eine aktive junge Frau, die ihr Leben im Griff hat. Das heißt, sie hat es wieder im Griff. Ihre Ehe mit Paul war perfekt. Paul war ein Gewinner, ein Karrieremensch, ein Bild von einem Mann. Verena, die Powerfrau, Hürdenläuferin und erfolgreiche Immobilienmaklerin, schwebte im siebten Himmel. Die Hochzeit fand standesgemäß auf Capri statt. Zum 30. Geburtstag schenkte ihr Paul einen 5-Karäter. Sie hatten das Gefühl, unsterblich zu sein.

Paul wurde nur 38 Jahre alt. Der Gehirntumor war inoperabel. Verena war bei ihm, als er vor drei Jahren starb. Verena gehört nicht zu den Menschen, die Schwäche zulassen, geschweige denn, zeigen können. Ihre Kollegen bat sie damals, nicht über Paul zu sprechen, ihrer Familie ging sie aus dem Weg. Sie wollte allein mit dem Schmerz fertig werden. Augen zu und durch. Verena deckte sich mit Arbeit ein, ging jeden Abend ins Fitnessstudio, zog bis spät nachts mit Freunden um die Häuser. Sie überforderte sich ganz bewusst, um der Trauer zu entkommen.

Es war am einem Sonntagmorgen im Dezember 2002, Verena war zum Brunch verabredet. Als der Wecker klingelte und sie die Augen aufschlug, war es so, als würde eine zentnerschwere Last ihren Körper aufs Bett drücken. Sie konnte kaum atmen.

Ihr Hausarzt Frank R., ein guter Freund von Paul, ahnte, dass ihr Schwächeanfall keine körperliche Ursache hatte. Verena war auf dem besten Weg, depressiv zu werden. Frank bat sie, über ihre Gefühle zu reden und die Trauer um Paul zuzulassen. Aber Verena wollte nicht. Ihr Kummer ging keinen der Freunde etwas an. „Wenn du nicht darüber reden kannst, vielleicht kannst du ja darüber schreiben“, schlug Frank vor, „Oder schau doch mal im Internet, da gibt es bestimmt Foren zum Thema Trauer. Alles garantiert anonym“. Abends schaltete Verena ihren Computer ein – und wurde fündig. In einem Forum fand sie Einträge, die genau das beschrieben, was sie nicht ausdrücken konnte. Anfangs noch zaghaft und passiv, las sie nur die Einträge mit. Dann schaute sie immer öfter nach, ob neue Beiträge vorhanden wären. Nach einiger Zeit schrieb sie ihren ersten eigenen Eintrag und erhielt auch bald Reaktionen darauf. Von Menschen, die sie verstanden, die ähnliche Schicksalsschläge erlitten hatten.

So unterschiedlich die Schicksale der Teilnehmer auch waren, so hatten doch eins gemeinsam: Das Forum war ihr erster Schritt aus der Isolation, heraus aus der Sprachlosigkeit.

Heute ist Verena wieder so aktiv wie früher. Ab und zu besucht sie ihre „alten“ Forumsfreunde im Netz, wenn es ihr gerade besonders gut geht. Dann kann sie auch den „neuen“ Trauernden Mut machen und davon erzählen, wie sie es geschafft hat, über das Schreiben ins Leben zurückzufinden.

Ihr Fritz Roth