Katharina Kampmann, stolze 84 Jahre alt und eine fidele kleine Stadtlady, ist mit Leib und Seele Kölnerin. Das Rheinland ist ihre Heimat, Köln Mühlheim seit den 60er Jahren ihr Lebensmittelpunkt. Frau Kampmann liebt den Ort „op d’r schäl Sick“ mit seinem Märchenbrunnen im Stadtgarten und der Lutherkirche im alten Ortskern – den Kölner Dom natürlich immer in Sichtweite.
Katharina Kampmann ist ziemlich fit für ihr Alter, sie schafft es problemlos einzukaufen, zu kochen, für sich zu sorgen. Mit ihrer Tochter Carina, die in Augsburg lebt, hält sie telefonisch Kontakt. Pünktlich jeden Samstag um 9:30 Uhr klingelt das Telefon. Ein Fernplausch nach dem Frühstück. Ein festes Ritual.
Als am letzten Samstag das Telefon stumm bleibt, hat Carina gleich ein ungutes Gefühl. Sie bittet den Hausmeister, nach ihrer Mutter zu sehen. Herr Lehmann findet Katharina Kampmann in ihrem Bett. Sie ist in der Nacht gestorben, der Arzt trägt Herzversagen in den Totenschein ein. Noch bevor Carina sich ins Auto setzt,
verständigt sie einen Bestatter in Köln, der ihr von Herrn Lehmann empfohlen wurde. Der Bestattungsunternehmer holt die Tote ab, sargt ein, regelt die Behördengänge, textet die Traueranzeige und organisiert die Trauerfeier.
Im Nachhinein betrachtet, nahm er Carina Kampmann das Heft völlig aus der Hand. Er drängte zur schnellen Auswahl eines Sarges, kleidete ihre Mutter in ein Totenhemd und empfahl, sich den Leichnam nicht noch einmal anzuschauen. Der Kollege gab Carina den Rat, ihre Mutter so in Erinnerung zu behalten, wie sie zu Lebzeiten war. Erst als Carina darauf bestand, ihre Mutter noch einmal zu sehen, öffnete der Bestatter in der Leichenhalle kurz vor der Beerdigung noch einmal den Sarg. Ein richtiger Abschied war das nicht. Carina Kampmann bereut noch heute, dass sie sich für den Abschied nicht mehr Zeit genommen hat. Sie hätte gerne einige Stunden am Totenbett ihrer Mutter gesessen. Hätte sich gerne in der Wohnung ihrer Mutter, wo jeder Sessel, jede Tasse, jedes Bild voller schöner Erinnerungen steckt, mit dem Verlust und der Trauer auseinander gesetzt.
Das Schicksal von Carina Kampmann steht stellvertretend für das Schicksal vieler trauernder Angehöriger in Deutschland. Trauer hat bei uns keine Heimat mehr. Bestatter und Behörden schreiben vor, wie man mit dem Verlust eines geliebten Menschen umzugehen hat. Kaum einer rät den Trauernden, die zu ihm kommen, sich Zeit zu lassen, den Toten zunächst noch in den eigenen vier Wänden, in vertrauter Umgebung zu behalten. Denn es gilt: Räume, die gut sind für die guten Stunden, sind dreimal so gut für die schweren Stunden.