Als vor einigen Jahren im hessischen Ebsdorf der Zimmermann Willi Klein zu Grabe getragen wurde, war das ganze Dorf auf den Beinen. Fahnen- und Standartenträger schritten den Sargträgern voraus. Hinter dem Sarg gingen die nächsten Angehörigen: Willis Gattin Melanie – mit der er im nächsten Jahr goldene Hochzeit gefeiert hätte –, die Söhne Thomas und Klaus, deren Ehefrauen und die zahlreichen Enkelkinder. Auf die Familienangehörigen folgten Zimmerleute aus der ganzen Umgebung, die allesamt in ihrer Tracht erschienen waren. Nachbarn und Freunde bildeten den Abschluss des Trauerzuges, der nicht etwa, wie heute leider üblich, nur wenige Schritte von der Trauerhalle zum Grab führte.
Willi Klein war zu Hause im Kreise der Familie gestorben. Und so bewegte sich der Trauerzug von WillisBungalow im Pfortengartenweg zur Wehrkirche in die Dorfmitte – wo die Trauerfeier stattfand – und von dort zum Friedhof am Rande von Ebsdorf. Es war heiß an diesem Julitag. Gemeinsam schwitzten die Trauergäste in der Sonne. Die Ebsdorfer trugen ihren Willi Klein an den Häusern vorbei, deren Dachstühle er gezimmert hatte. Und so mancher lächelte, wenn er an den alten „Kleen“ dachte, der sich so geschickt zwischen dem Gebälk bewegen konnte und in seinem Leben unzählige Nägel in dicke Eichenbalken getrieben hatte. Noch heute leuchten die bieberschwanzgedeckten Dächer rot und schnurgerade und schützen die Ebsdorfer vor Regen und Kälte. „De aale Kleen, dos wor schut enner, der konnt orbeide!“ erzählen die Alten und nicken anerkennend. Und dann schwärmen sie von dem schönsten Trauerzug, der je durch ihre Stadt führte, damals im Juli.
Ortswechsel. Queen Mum wurde in London mit allen Ehren zum Palast von Westminster geleitet. Hinter der Geschützlafette mit dem Sarg gingen die Royals: Prinz Charles und seine Söhne William und Harry, Prinz Philip und die Enkel der Verstorbenen, Anne, Andrew und Edward. Mehrere hunderttausend Menschen säumten an diesem sonnigen Tag die Straßen. Die Zeremonie wurde vom Fernsehen in alle Welt übertragen. Auch als die niederländische Königinmutter Juliana verstarb, wurde ihr zu Ehren ein Trauerzug organisiert, der bis nach Delft in die 400 Jahre alte Krypta der Familie führte. Auch in Holland nahmen Hunderttausende auf der Straße von der ehemaligen Königin Abschied.
Weniger prunkvoll aber mit genauso großer Anteilnahme wurden früher auch die „Normalsterblichen“ in Trauerzügen durch Dörfer und Städte getragen. Nicht nur Familienangehörige, Freunde und Nachbarn reihten sich ein. Es war Sitte, dass aus jedem Haus und jeder Familie jemand sich dem Trauerzug anschloss. So erreichten auch die bürgerlichen Trauerzüge eine stattliche Länge.
Trauerzüge sind heute nur noch bei gekrönten Häuptern üblich. Ansonsten wurde der Tod aus unserem Stadtbild verdrängt. Mit der Einführung der Leichenhäuser als Aufbewahrungsort der Toten reduzierte sich der Leichenzug auf den Weg von der Friedhofshalle zum Grab.
Die Kirchen sehen es für gewöhnlich nicht gerne, wenn Tote zur Aussegnung vor ihren Altären aufgebart werden und da immer weniger Menschen zu Hause sterben, ist die gute alte Tradition des Leichenzuges in den letzten Jahren immer mehr eingeschlafen.
Eigentlich schade. Hier ist uns ein lebendiges Stück Trauerkultur verloren gegangen. Wenn im alltäglichen Leben der Tod nicht mehr erfahrbar ist, fällt es schwer, mit ihm natürlich umzugehen.
Ihr Fritz Roth