Trauerliebe übrigens auch. Wenn ein geliebter Mensch stirbt, bricht alles zusammen. Viele Trauernde scheitern in ihrem Schmerz oft an ganz einfachen Dingen. Kochen zum Beispiel. Ein Reporter des SPIEGEL hat mich unlängst gefragt, ob das heißen solle, dass die Leute dann nicht mehr wüssten, wie man sich ein Spiegelei brät? Natürlich wissen sie das. Aber wissen heißt eben nicht, dass man den Alltag auch reibungslos meistern kann. Trauernden fehlt es häufig an Kraft, Motivation und Lust, für sich allein zu kochen.
In meinem Kochseminar geht es nicht darum, das kleine Einmaleins des Kochens zu lernen. Es geht um das Beisammensein – um Kommunikation. Wir kochen die Lieblingsgerichte der Verstorbenen. Oder Gerichte, die an gemeinsam erlebte Festtage erinnern. Beim Essen werden dann die dazugehörigen Geschichten erzählt und Erinnerungen geteilt. Für viele Teilnehmer ist es das erste Mal, dass sie über ihren Verlust mit anderen sprechen können, die ein ähnliches Schicksal teilen. Das wirkt befreiend und hilft zurück auf den Weg ins eigene Leben.
Essen und Leben sind untrennbar miteinander verbunden. „Ich esse, also lebe ich.“ Dieses Credo begegnet uns in einer alten Tradition, die zum Glück noch nicht ganz in Vergessenheit geraten ist. Nach einer Beerdigung laden die Angehörigen die Trauergemeinde oft zum Kaffeetrinken und einem Imbiss ein. Der Leichenschmausist ein sehr alter Brauch, dessen Ursprung vermutlich in religiösen Riten zu suchen ist. Im frühen Christentum wurde die Mahlzeit als Bezahlung für Gebete angesehen, da man glaubte, dass die Seele eines Verstorbenen auf die Fürbitte der Lebenden angewiesen war.
Der Leichenschmaus hatte auch eine soziale Funktion. Wenn die Familie mit Verwandten, Nachbarn und Freunden zusammenkam, wurde auch die „neue Ordnung“ innerhalb der Familie demonstriert. An die Stelle des Vaters trat der Sohn. Die Rolle der Mutter ging an die Töchter bzw. Schwiegertöchter über. Und es gab auch einen ganz pragmatischen Anlass für diese Mahlzeit, schließlich kamen einige Verwandte von weit her angereist und ihre Verpflegung war schlicht erforderlich.
Heute steht bei dem Essen nach der Beisetzung, ob Totenmahl oder Trauerkaffee, das Zusammensein im Vordergrund. Es ist eine Gelegenheit, den Schmerz zu teilen aber auch gemeinsam das Leben zu feiern. Eben – „ich esse, also lebe ich“. Die Begegnung mit lieben Freunden und Verwandten ist für die Trauernden tröstend.
Um Trost und Zuwendung geht es natürlich auch in meinem Kochseminar. Fast immer erzählen die Teilnehmer ihre persönlichen Geschichten zu dem selbst gekochten Essen. Dieses Sich-öffnen-Können, in der Gesellschaft von Menschen, die die Erfahrung des Verlustes teilen, ist für die Teilnehmer eine wichtige Erfahrung und kann eine große Hilfe sein, neuen Lebensmut zu schöpfen.
Wir gehen nicht nur gemeinsam einkaufen, wir kochen gemeinsam, decken den Tisch. Die Teilnehmer streifen durch den Garten der Trauerakademie und suchen nach Dekorationsmaterialien, die uns die Natur zu jeder Jahreszeit in großem Überfluss schenkt. Sie müssen nur neu entdeckt werden. Jeder Teilnehmer bekommt dann den Auftrag, die anderen bei Tisch zu unterhalten, um auf diese Weise zu neuer Dynamik, neuer Zuversicht und neuer Kreativität zu finden.
Ihr Fritz Roth