Denkanstoß 18 – Nicolas Paul Morgenstern – Totgeburt männlichen Geschlechts

Was haben Sie am 29. Juli 1997 gemacht? Dieser Tag war für die meisten Menschen in Deutschland ein ganz gewöhnlicher Sommersamstag. Das schöne Wetter lud dazu ein, früh aufzustehen, über den Markt zu schlendern und Einkäufe für das Wochenende zu erledigen. Viele Mütter packten die Badesachen ein und radelten mit ihren Kindern ins Schwimmbad, Väter polierten ihre Autos, werkelten im Haus oder mähten den Rasen. Ina erinnert sich noch sehr gut an den 29. Juli 1997 und die glücklichen Tage und Wochen davor. Sie freute sich auf die Geburt ihres ersten Kindes. Sie wusste bereits, dass es ein Junge werden würde, seinen Bewegungen zufolge mindestens ein Kickboxer.

Wenn ihr Sohn sich nicht bewegte, horchte Ina in sich hinein: Ob er wohl schläft? Lauscht er der Musik? Hört er meiner Stimme zu? Manchmal zeichnete sich auf dem großen runden Bauch eine kleine Auswölbung ab, dann dachte sie: Das könnte seine Hand oder sein Knie sein, er wird langsam zu groß für meinen Bauch. Jetzt ist es bald soweit.

Der 29. Juli 1997 sollte der schönste Tag ihres Lebens werden. Es wurde der traurigste Tag im Leben von Ina Morgenstern. Um 8.08 Uhr kam ihr Sohn zur Welt. Er schrie nicht. Er strampelte nicht. Er atmete nicht. Er lebte nicht. Inas Kind war tot, als es geboren wurde. Der Geburtstag war gleichzeitig der Todestag. Der 29 Juli 1997 wurde zum Geburts- und Todestag von Nicolas Paul Morgenstern.

Der Schicksalstag im Juli 1997 war nicht nur ein Tag unbeschreiblicher Trauer, er wurde auch zum Beginn einer unsäglichen Odyssee durch Behörden, Ämter und Ministerien. Auf dem Standesamt wurde aus Nicolas Paul Morgenstern die „Totgeburt männlichen Geschlechts“. Der Beamte weigerte sich, den Namen ins Stammbuch einzutragen. Ina Morgenstern war nicht bereit, das hinzunehmen. Sie wollte, dass ihr Kind einen Namen bekommt und dieser Name auch offiziell anerkannt wird. War das Leben, das Nicolas neun Monate in ihr geführt hatte, es nicht wert, beim Namen genannt zu werden? Er war ein Mensch, ihr Sohn, ein Familienmitglied! Ina Morgensterns Kampf um den Namen ihres Kindes führte sie bis zum Bundespräsidenten. Auch der war nicht bereit zu helfen.

Als besondere Ironie des Schicksals muss die Tatsache bezeichnet werden, dass ein halbes Jahr nach Nicolas Morgensterns Tod das Personenstandsgesetz geändert wurde und Kinder, die tot auf die Welt kommen, seitdem mit Namen ins Stammbuch eingetragen werden dürfen.

Leider gilt dieses Gesetz nicht rückwirkend. Aber Ina wird nicht aufgeben. Nicolas gehört zur Familie. Ina kämpft dafür, dass das auch offiziell anerkannt wird.

Ich unterstütze Ina, da ich als Trauerbegleiter weiß, wie wichtig es ist, sich traumatischen Erlebnissen wie dem Verlust eines Kindes zu stellen. Für die Mutter ist die Anerkennung des Namens ein wichtiges Symbol. Sie möchte, dass Nicolas Teil ihrer Familienchronik wird. Für die Behörden wäre der Eintrag ein kleiner Verwaltungsakt.

Ein kleiner Schritt eines Beamten, der eine Mutter sehr glücklich machen würde.

Ihr Fritz Roth