Denkanstoß 24 – Trauern Kinder anders?

Paul geht jeden Freitag mit seiner Mutter Miriam in den Park. Freitags kommt sie früher von der Arbeit, dann können sie den ganzen Nachmittag spielen und toben. Paul freute sich immer sehr auf die Freitage. Das ist seit kurzem anders. Als vor ein paar Monaten Pauls Ball die Wiese herunter rollte und bei der Bank am Flussufer liegen blieb, lernte Paul Wilhelm kennen. Den alten Mann, der dort immer saß und die Enten fütterte. Paul lächelte ihm scheu zu, schnappte seinen Ball und rannte davon. Am nächsten Tag sah er den alten Mann wieder dort sitzen. Er hob die magere Hand und winkte Paul und seiner Mutter zu. Paul winkte zurück.

In den folgenden Wochen wurde aus dem Grüßen eine lockere Freundschaft und Paul ließ seinen Ball absichtlich die Wiese herunter kullern. Dann setzte er sich zu dem alten Mann und sie unterhielten sich. Wilhelm erzählte, dass er früher Frachterkapitän war und lange Seereisen unternommen hatte. Wunderbare fremde Länder hatte er bereist, die merkwürdigsten Menschen getroffen und die schönsten Sonnenuntergänge über der Südsee gesehen. Wilhelm war wie ein Geschichtenbuch, das Paul jeden Freitagnachmittag aufschlagen konnte. Nur viel spannender.

Eines Freitags blieb die Bank leer. Wilhelm kam nicht mehr. Pauls Mutter fand heraus, dass Wilhelm gestorben war. Seine Nachbarn hatten ihn eines Morgens am Zeitungsstand vermisst und aus Sorge den Hausmeister gebeten, die Wohnung aufzuschließen. Pauls Mutter war beinahe genauso traurig wie Paul, denn sie hatte sich über diese ungewöhnliche Freundschaft gefreut, hatte Paul doch nie seinen Großvater kennen lernen können.

Nun stellte Paul Fragen. Wo ist Wilhelm? Warum kommt er nicht mehr? Er weiß doch, dass wir jeden Freitag hier sind. Und dann: Warum ist Wilhelm tot? Ist er jetzt im Himmel? Gibt es dort auch Enten? Sieht er mich, wenn ich ihm winke? Miriam gab sich Mühe, die Fragen zu beantworten, aber es gelang ihr nicht besonders gut. Eine solche Situation ist ja auch nicht alltäglich, so etwas kann man nicht üben. Kinder haben ihre ganz eigenen Fragen über Tod und Sterben. Paul wurde immer stiller und zog sich in sich zurück. Für ihn war es, als ob er seinen Großvater verloren hätte. Miriam suchte Hilfe für sich und Paul und sie fand sie bei Domino, dem Zentrum für trauernde Kinder. Domino bietet Einzel- und Gruppenbetreuung für Kinder und Jugendliche an. Hier können Kinder so trauern, wie sie es brauchen. Mit Ritualen, Rollenspielen, Malen, Schreiben oder langen Spielphasen können Gefühle ausgelebt werden. Auch für Aggressionen ist Platz. Die Mitarbeiter von Domino wissen, dass Kinder anders trauern. Kinder verbergen oft ihre Trauergefühle. Sie können ihre Trauer nicht so ausdrücken, dass Erwachsene sie als solche wahrnehmen. Wenn es einen Trauerfall in der Familie gegeben hat, versuchen Kinder oft, besonders artig zu sein. Sie wollen ihre Eltern, die selbst in Trauer sind, nicht noch mehr belasten.

Am 23. April 2005 feiert Domino nun sein fünfjähriges Bestehen und lädt gemeinsam mit den Mitarbeitern des Hauses der menschlichen Begegnung Pütz-Roth zum Tag des trauernden Kindes nach Bergisch Gladbach ein. Dann wird die Villa Trauerbunt eröffnet und es gibt Vorführungen und Mitmachaktionen, vom Kochen mit Dieter Müller (3 Sterne Koch), Puppenspiel mit Heide Hamann über einen Trommel-Workshop bis hin zur Sargbemalung. Natürlich gibt es auch Kaffee und Kuchen und Würstchen und Gulasch. Ein Fest der Gemeinsamkeit für alle, die von dem Thema Kind und Trauer betroffen oder daran interessiert sind.

Bergisch Gladbach, im April 2005
Ihr Fritz Roth