Denkanstoß 3 – Die Sprachlosigkeit überwinden!

Zugegeben, ein Tagebuch für die Trauer ist ein ungewöhnlicher Gedanke. Aber erinnern wir uns: Vielleicht haben wir in unserer Jugend ein Tagebuch geführt, dem wir unsere geheimsten Gedanken und Sehnsüchte anvertraut haben, weil wir mit niemandem darüber reden konnten. Weil wir dachten, dass uns sowieso keiner verstehen kann.

Die Gedanken der Jugend sind deshalb so verwirrend, weil sie einem Reifungsprozess entspringen und auf unbekannte Pfade führen. Auch der Tod eines geliebten Menschen führt uns zunächst auf einen unbekannten Pfad. Wir begeben uns auf einen Weg, dessen Ziel uns nicht bekannt ist und das wir deshalb auch nicht in Worte fassen können. Der Tod macht sprachlos. Gelebte Trauer ist eine Form der Liebe und kann die lähmende Sprachlosigkeit durchbrechen.

Die Gesellschaft hat bestimmte Vorstellungen davon, wie Trauer auszusehen hat. Aber Trauer lässt sich nicht in Normen pressen. Jeder Mensch erlebt auf sie seine ganz eigene Art. Trauer braucht Ausdruck. Das Trauertagebuch will Raum schaffen für diesen Ausdruck. Raum für Gefühle! Gedanken, die vielleicht nur fühlbar sind, können langsam reifen. So werden sie Schritt für Schritt greifbar und verstehbar. Erst wenn wir formulieren können, was uns bewegt, können wir uns mitteilen und die Trauer überwinden.

Ein Tagebuch kann uns in einer Zeit der Ungewissheit und des Schmerzes helfen, zu einer Ordnung, einem Lebensrhythmus zurück zu finden. Es gibt uns Halt und verankert gegen das Gefühl, von den Geschehnissen weg geschwemmt zu werden. Es hilft uns einen Weg aus der Sprachlosigkeit zu finden, bietet Raum, Schmerz zu verarbeiten, Erinnerungen nieder zu schreiben und Gedanken zu ordnen.
Auf diese Weise kann uns das Trauertagebuch dabei unterstützen, über die Sprache der Trauer zur Sprache des Lebens zurück zu finden.

Fritz Roth