Grabsteine aus grauem, braunem oder schwarzem Marmor, poliert und mit geschwungener Oberkante verziert. Dann Stein für Stein aufgestellt in Reih und Glied. Der Volksmund spricht: »Ordnung ist das halbe Leben« und Bestatter, Friedhofsgärtner und Verwaltungsbeamte finden, dass das auch im Tode so sein sollte. Wie starr und unbeweglich das System mittlerweile ist, fällt immer dann auf, wenn tatsächlich mal etwas anderes als ein genormtes Grab verlangt wird. Häufig geschieht das, wenn jemand aus einem anderen Kulturkreis auf einem deutschen Friedhof bestattet werden soll. Linda Kobayashi, Angestellte eines großen Elektronikkonzerns, trauert um ihren verstorbenen Vater. Kaito Kobayashi war in den frühen 70er Jahren aus Kamakura/ Japan nach Deutschland gekommen. Als Buddhist beschäftigte er sich schon zu Lebzeiten intensiv mit seinem eigenen Tod. Er hatte eine klare Vorstellung, wie sein Grabstein aussehen sollte: Gestapelte Steinblöcke, etwa doppelt so hoch wie ein handelsüblicher Stein.
Als Linda Kobayashi den Wunsch ihres Vaters erfüllen wollte, stieß sie auf erbitterten Widerstand der örtlichen Friedhofsverwaltung. Der Grabstein sei ja eigentlich kein Stein, sondern eine Skulptur. Das ginge nicht. Die Skulptur sei außerdem zu groß, überschreite die maximal zugelassene Höhe. Das ginge nicht. Und zu guter Letzt: Die Grabfläche müsse zu 80% mit Bodendeckern bepflanzt werden, wofür der Grundriss der Skulptur keinen Platz ließe. Das ginge sowieso nicht.
Ich möchte, dass wir uns von den Steinwüsten verabschieden. Konformismus erstickt jede Kreativität. Jeder Mensch ist einzigartig. Leider ist davon bei einem Spaziergang über die meisten Friedhöfe nicht mehr viel zu spüren. Im krassen Gegensatz zu einer lebendigen Trauerkultur steht die anonyme Bestattung. In meinen Augen eine Bankrotterklärung unserer Kultur des Erinnerns. Leider erleben wir Anonymität und Konformismus heute überall. Im Alltag werden wir reduziert auf Kundennummern, Personalnummern und PIN-Codes. Namen sind nicht mehr gefragt. Für mich ist einer der schönsten Gedanken aus der Bibel: »Ich habe dir einen Namen gegeben und bei diesem Namen werde ich dich rufen«. Beim Namen – nicht bei der PIN-Nummer.
Auf meinen Friedhof wird es keine anonymen Bestattungen geben. Jeder Mensch ist ein einzigartiges unverwechselbares Individuum, deshalb soll jedes Grab ein Unikat werden. Wir leben nicht nach DIN-Norm, also sollten wir unsere Toten auch nicht so bestatten.
Linda Kobayashi hat den Wunsch ihres Vaters schließlich doch noch erfüllen können. Sie ließ ihn einäschern und fand für die Urne einen Friedhof, der den Grabstein, der eigentlich eine Skulptur war, zuließ. Heute geht sie an ein Grab, das sehr viel über ihren Vater, seinen Glauben und sein Herkunftsland Japan erzählt. Ein Land, in dem sie noch nie war, dem sie sich aber am Grab ihres Vaters etwas näher fühlt.
Bergisch Gladbach, im Februar 2006
Ihr Fritz Roth