Denkanstoß 32 – Kunst und Trauer

„Der wahre Sinn der Kunst liegt nicht darin, schöne Objekte zu schaffen. Es ist vielmehr eine Methode, um zu verstehen. Ein Weg, die Welt zu durchdringen und den eigenen Platz zu finden. Kunst gibt der Seele Nahrung.“ (Paul Auster, *1947) Ein wunderbarer Gedanke, den der amerikanische Schriftsteller Paul Auster da formuliert hat.
Seit Gründung des Hauses der menschlichen Begleitung im Jahr 1993 spielt Kunst in der Auseinandersetzung mit Tod und Trauer eine immer bedeutendere Rolle für mich. Trauerbegleitung beschränkt sich nicht auf Mitgefühl, Gespräche, Beistand leisten, sondern sie kann mithilfe der Kunst der Trauer Ausdruck verleihen.

Die Kunst, die wir von Anfang an im Haus gezeigt haben, hat die Möglichkeiten der Trauerbegleitung enorm bereichert. Im Haus der menschlichen Begleitung und unseren Gärten der Bestattung erwarten den Besucher Objekte mit Hintersinn, von Künstlern und Trauergruppen gestaltet. Zwischen Buchen ragt eine Spiegelwand empor; Hineinblickende sehen sich in eine Welt hinter der Welt eintreten. Es gibt Teiche und Wasserfälle, ein Steinlabyrinth, eine Felsenspirale, das Unendlichkeitssymbol aus Birkenstämmen und Weidengeflecht. Der „Pfad der Sehnsucht“ führt durch die „Zyklen der Stille“, eine feste Kunstinstallation im Zentrum des Hauses, die Raum für Besinnung schafft.

In „gelebter“ Trauer liegt eine große Chance. Viele Menschen entdecken in dieser Phase ihres Lebens die heilende Kraft der Kreativität. Ich sehe es als eine meiner wichtigsten Aufgaben an, diese Kreativität bei Trauernden zu wecken und zu fördern.

Aus diesem Grunde biete ich jedes Jahr einem Künstler die Möglichkeit, sich in meinem Haus intensiv mit den Themen „Sterben, Tod und Trauern“ zu beschäftigen. Trauernde haben dadurch die Chance, ihren Trauerprozess durch die Begleitung eines Kunst schaffenden Menschen zu bereichern. Der Jahreskünstler hat teil an dem Prozess, den die Hinterbliebenen zu bewältigen haben. Dieser Prozess wird seine Kunstwerke beeinflussen.

Um dem Künstler ein freies und kreatives Schaffen zu ermöglichen, übernimmt das Haus der menschlichen Begleitung alle organisatorischen Aufgaben und bietet seine Räumlichkeiten zur freien Nutzung an. Der Künstler hat die Möglichkeit, im Rahmen des Veranstaltungsprogramms Seminare, Diskussionsabende, Workshops oder Film- und Performanceprogramme anzubieten, um seine Arbeit während des Jahres zu vermitteln. Wir übernehmen auch Material- und Übernachtungskosten. Der Künstler hat alle Freiheiten, es gibt nur eine einzige Verpflichtung: Er muss die nötige Sensibilität gegenüber dem Ort und vor allem den Hinterbliebenen aufbringen.

Die Jahreskünstlerin 2005 Krimhild Becker wird am Freitag, dem 24. März 2006, um 20.00 Uhr im Rahmen einer Vernissage verabschiedet. Am gleichen Abend stellen wir den Jahreskünstler 2006 Jo Schultheis vor.

Bergisch Gladbach, im März 2006
Ihr Fritz Roth