Denkanstoß 37 – Lange Rede, kurzer Sinn

Florian hatte immer ein gutes Verhältnis zu seinem Schwiegervater Werner, sie teilten die Liebe zu ihrem Lieblingsverein Borussia Dortmund und schraubten in der „Büxx“ jede freie Minute an alten Horex-Motorrädern. „Die Büxx“ war Werners ganzer Stolz, eine zur Werkstatt umgebaute Garage mit antiquiert anmutendem Spezialwerkzeug für historische Zweiräder. Aber auch Präzisionsbohrer standen bereit. Werner legte immer viel Wert darauf, auf der Höhe der Zeit, oder besser gesagt auf „Ballhöhe“, wie er es immer ausdrückte, zu sein. Eines Abends fand Florian seinen Schwiegervater schwer atmend in der Garage. Herzinfarkt. Als der Notarzt eintraf,konnte er nur noch den Tod feststellen. Der gelernte Feinmechaniker, für den der Beruf immer auch Hobby war, starb im Alter von 82 Jahren an dem Ort, an dem er sich am liebsten aufhielt.

Werners Tochter Anna, Florians Frau, lähmte die Trauer um den geliebten Vater. Sie stand derart unter Schock, dass sie die Vorbereitung der Beerdigung ihren beiden Schwestern überlassen musste. Werner war nie der große Kirchgänger gewesen. Aber trotzdem war er der Kirche treu geblieben und hatte sein Leben lang die Kirchensteuer bezahlt. Somit entschied die Familie, Werner im Rahmen einer kirchlichen Trauerfeier zu beerdigen.

Die Beisetzung fand an einem regnerischen Tag in der Friedhofskapelle statt. Die Luft war kalt und der Himmel war genauso düster, wie die Stimmung der Anwesenden. Florian hatte seinen Schwiegervater als lebenslustigen Menschen in Erinnerung. Das Wetter passte also so gar nicht zu seiner stets positiv optimistischen Lebenseinstellung. Das Wetter kann man sich nicht aussuchen. Den Trauerredner schon.

Leider war der Mann nicht gut vorbereitet, was bei konfessionellen und überkonfessionellen Trauerfeiern vorkommt. Er ließ die Beerdigungsgesellschaft für den Verstorbenen beten, erzählte aber so gut wie nichts über Werner, den treu sorgenden Familienmenschen, glühenden BVB-Fan, geselligen Altbiertrinker und genialen Tüftler.

Für mich ist eine Trauerfeier eine Art Geburtstagsfeier, eine Geburtstagsfeier zu einer neuen Verbundenheit. Das „Sterbliche“ liegt im Sarg, aber die „Seele“ lebt an einem anderen Ort weiter. Damit eine Trauerfeier gelingt, braucht es einen vertrauten Ort und vor allem Zeit. Warum Trauerfeiern immer noch in kalten oder sterilen Friedhofshallen abhalten werden, streng reglementiert durch die Friedhofsordnung in zeitlich sehr engem Rhythmus, bleibt für mich ein Rätsel. Es gibt bessere Orte, zumal wenn man einer Glaubensgemeinschaft angehört. Keiner käme auf die Idee in einem Gefrierhaus zu heiraten oder sich taufen zu lassen. Und dies gilt erst recht für eine Beerdigung.

Eine gute Trauerrede lässt die Vergangenheit des Toten noch einmal aufleben, schafft lebendige Erinnerung an die schönen und schweren Momente des Lebens. Eine gute Trauerrede macht den Angehörigen auch bewusst, dass sie selbst sterblich sind. Der Tod wird zum Lehrmeister für das Leben. Er erinnert uns daran, dass unsere Zeit begrenzt ist.
Es ist schwer bei einer Beerdigung die richtigen Worte zu finden, die den Angehörigen Trost spenden und den Verstorbenen in der gebotenen Weise würdigen. Ein tiefgehendes Gespräch zwischen Trauerredner und Familie hatte in Werners Fall nicht stattgefunden, was man der mit Zitaten und Gebeten gespickten Rede angemerkt hat. Leider ist das kein Einzelfall. Vielleicht hätte die Familie das Vorgespräch mit dem Trauerredner Florian überlassen sollen. Der Schwiegersohn hätte viele Geschichten über Werner erzählen können, hätte dem Trauerredner von dem Lob berichtet, das er regelmäßig über jeden aus dem Familie äußerte, hätte davon geschwärmt, wie liebevoll der Vater über seine Töchter sprach.

Vielleicht hätten Florian und die Familie, aber auch Freunde und Nachbarn besser selber geredet.
Leider gehen wir in unserem Land oft aus einer Trauerfeier trauriger und damit ungetrösteter hinaus, als wir hinein gegangen sind.

Bergisch Gladbach, im Februar 2007
Ihr Fritz Roth