Im Jahr 1929 drehte Walt Disney einen, wie ich finde, sehr lustigen und zugleich interessanten Film. Die »Silly Symphony« (»Tanz der Skelette«) war eine für das Jahr 1929 zeitgenössische Variation des Themas »Totentanz«. Die kleinen Skelette steppen über den Bildschirm und ihre Knochen klappern im Takt. Dass sich Walt Disney bei dieser Darstellung auf eine jahrhundertealte Tradition berief, war den Leuten damals wie heute sicher nicht bewusst. Disney »zitierte« häufiger klassische Motive, man denke nur an Mickey im Rock eines Zaubererschülers, der die Besen zum Wasserholen schickt und dann die Geister, die er rief, nicht mehr los wird (»Walle! Walle manche Strecke, dass, zum Zwecke, Wasser fließe und mit reichem, vollem Schwalle zu dem Bade sich ergieße…«). Hier diente der Zauberlehrling von Johann Wolfgang von Goethe als Vorlage für einen legendären Zeichentrickfilm.
Welcher Totentanz hat nun Walt Disney zu seiner »Silly Symphony« inspiriert? Es war kein realer Tanz. Der Totentanz war schon immer eine künstlerische Variation des Themas, ein gemaltes Bildnis des Todes. Der Tod erscheint (häufig) als Sensenmann und bittet zum Tanz. Im Mittelalter wurden Gemälde mit dem so personifizierten Tod vereint im munteren Wiegeschritt mit den Vertretern der verschiedenen Stände gezeigt: Der Tod mit dem König, der Tod mit dem Bischoff, bis hin zum Tod mit dem einfachen Bauern. Gedichte erläuterten die dargestellte Szene: »Ich komm zu Nacht wie ein Dieb, es sei dir Leid gleich oder Lieb!«[1] Diese Vado-Mori-Gedichte (Ich werde sterben gehen) bestehen aus Versen, in denen sich die Vertreter der Stände darüber beklagen, dass sie sterben müssen. Immer wieder taucht der Kernsatz des Klageliedes aus: »Niemand kann dem Tod entkommen.«
Totentänze sollten damals veranschaulichen, dass niemand vom Tod verschont bleibt. Stand, Alter, Geschlecht ? der Tod ist unser gemeinsames Schicksal, damals wie heute. Durch die Darstellung des Todes auf Gemälden wurde dem Tod eine Gestalt gegeben und er konnte ins Leben integriert werden.
Warum haben die Künstler damals ausgerechnet Tod und Tanz zusammen gebracht? Tod ist mit Trauer, Unglück und Leid verbunden. Tanz dagegen mit Freude und Lebenslust. Die Erklärung für diese Verbindung hat mich verblüfft. Im Mittelalter wurde der Tanz von der Kirche als Sünde angesehen. Tanzen sollte zeitweise sogar verboten werden. Die ersten gemalten Totentänze könnten von der Kirche in Auftrag gegeben worden sein. Sie dienten einzig dem Zweck, den Gläubigen ordentlich Angst einzuflößen und sie so vor der Sünde zu bewahren.
Bilder, Gedichte und Geschichten vom Tod konfrontierten die Menschen in allen Epochen mit ihrer Endlichkeit.
Memento Mori!
In der »Legende der drei Lebenden und der drei Toten aus dem Orient« treffen drei Königinnen auf drei Särge mit verwesten Leichen, die sich als ihre Väter entpuppen. Diese mahnen sie mit den Worten: »Was Ihr seid, das waren wir, was wir sind, werdet Ihr sein.«
Auch die modernen Techniken unserer Zeit transportieren natürlich immer wieder Hinweise auf unsere Sterblichkeit. Es gibt eine Fülle moderner “Memento Mori”. Wir müssen sie nur wieder wahrnehmen. Wir haben uns angewöhnt, nur noch mit der Distanziertheit der Augen des Verstandes hinzusehen. Wir sollten versuchen, wieder öfter mit der Sinnlichkeit der Augen des Herzens zu schauen.
Bergisch Gladbach, im August 2007
Ihr Fritz Roth