»Der unheimlichste Künstler der Gegenwart«, wie ihn der Tagesspiegel nennt, sorgt im Moment mit einem ganz besonderen Projekt für Schlagzeilen. Gregor Schneider will einen Sterbenden im Museum ausstellen. Sein Beweggrund: »Das kann uns den Schrecken vor dem Tod nehmen.« Seit der Träger des goldenen Löwen der Biennale Venedig mit seiner Idee an die Öffentlichkeit gegangen ist, steht mein Telefon nicht mehr still. Als Bestatter und Trauerbegleiter bin ich mit dem Tod vertraut, deshalb rufen mich in diesen Tagen viele Journalisten an und fragen nach meiner Meinung zu dem umstrittenen Kunstprojekt.
Gregor Schneider sagte in einem Interview mit der Zeitung »Die Welt«: »Die Realität des Sterbens in deutschen Kliniken, Intensivstationen und Operationssälen ist grausam, das ist der Skandal.« Ich stimme Schneider in diesem Punkt vorbehaltlos zu. Der Tod wird versteckt, wir delegieren ihn, wir schauen weg und vergeben so die Chance, etwas Entscheidendes über das Leben zu lernen.
Das Kunstprojekt ist die überzogene, künstlerische Form dessen, was Realität ist. Der Tod im Museum macht sichtbar, wie wir in Wirklichkeit sterben, distanziert von unseren Familien und von Freunden entfremdet. Im Museum zu sterben, ist eine Kapitulation vor dem Leben.
Für die Diskussion, die das geplante Projekt angestoßen hat, bin ich Schneider wirklich dankbar. Sie war dringend nötig und gibt uns die Chance, Mut machende Lösungen zu finden. Wie der Künstler, so wehre auch ich mich dagegen, den Tod als Tabu anzusehen. Themen wie Sex und Tod sollten keine Tabus sein, denn es sind Dinge, die das Leben ausmachen. Leben und Tod sind Tatsache, nicht Normsache, nicht Ausschusssache, nicht Sache von Medizinern und Pflegepersonal. Der Tod gehört auch nicht ins Museum. Der Tod gehört zum Leben und er gehört mitten ins Leben. Der beste Platz zum Sterben ist der Platz, an dem man gelebt hat. Der beste Platz zum Sterben ist zuhause.
Um einen Toten trauern, sollte man ruhig in der Öffentlichkeit. Warum einen Toten nicht mit offenem Sarg, wie früher üblich, in der Kirche, im Rathaus oder vor allem in der Wohnung aufbahren. Wenn wir den Tod begreifen wollen, müssen wir hinschauen, berühren, nicht wegschließen oder hinter eine Scheibe im Museum verbannen. Sollte die Ausstellung von Gregor Schneider zustande kommen, würde ich sie auf jeden Fall besuchen, schon um meine persönliche Haltung zu dem Thema zu überprüfen. Sollte das eigentliche Kunstwerk aus der Reaktion der Öffentlichkeit bestehen, also Diskussionen und Empörung, möchte ich dem Künstler auf diesem Wege zu seiner wunderbaren Idee gratulieren. Ich überlege im Moment, ob ich Gregor Schneider als »Jahreskünstler« in unser Haus der menschlichen Begleitung in Bergisch Gladbach einlade.
Nicht der Tod, das Leben ist ein Kunstwerk. Indem ich dem Tod begegne, lerne ich das Leben neu schätzen. Und genau darin liegt die Chance der Auseinandersetzung mit Tod und Sterben.
Bergisch Gladbach im April 2008
Ihr Fritz Roth