Denkanstoß 5 – Vom Winde verweht

Franz R. war sein Leben lang Kapitän des Containerschiffs Augusta. Der Rhein war sein Zuhause. Als echte Wasserratte
war es für ihn unvorstellbar, irgendwann an Land begraben zu werden. Franz R. verfügte in seinem Testament:
“Übergebt meine Asche Vater Rhein“. Auch über die Trauerfeier hatte sich der Kapitän der Augusta Gedanken
gemacht, ihm schwebte eine Abschiedszeremonie vor, die etwas mit seinem Leben und der Art wie er es geführt
hatte, zutun haben sollte: „….weiße Nelken im Fahrwasser, ein letzter Gruß aus dem Signalhorn, eine schlichte
Ansprache des Pfarrers…..“

Als Franz R. starb, hätte seine Familie ihm seinen letzten Willen gerne erfüllt. Seine Witwe beauftragte den Bestatter
Gunther B. die Trauerfeier im Sinne des Testaments auszurichten. Der Beerdigungsunternehmer wurde bleich und
schüttelte entsetzt den Kopf: „Das geht nicht! Der Mann muss in einem ordentlichen Sarg oder zumindest in einer
Urne beigesetzt werden“, stammelte B., „und Asche verstreuen geht auch nicht, das ist ein glatter Verstoß gegen alle
Regeln unserer Bestattungskultur“.

Dieses Jahr werden in Deutschland voraussichtlich rund 900.000 Menschen sterben. Sicher haben einige von ihnen
ganz ähnliche Wünsche für ihre Trauerfeier. Und ganz sicher wird für deren Angehörige der Weg zur ewigen Ruhe
ihrer Lieben genauso steinig wie für die Hinterbliebenen von Franz R., denn sie werden über Vorschriften und
Dogmen stolpern, die dem letzten Willen im Wege stehen: In Deutschland herrscht Sargzwang! „Und das ist auch
gut so“, sagen die Bestatter und schauen griesgrämig drein, denn es weht ein laues Lüftchen der Veränderung durch
das Bestattungswesen und wirbelt erstaunlich viel Staub auf.

Dem Landtag von NRW liegt ein Entwurf für ein neues Bestattungsgesetz zur Beratung vor. Dieser Entwurf beinhaltet
keinen Sargzwang mehr. Das neue Gesetz würde den Behörden zudem erlauben, eine Genehmigung für das Verstreuen
von Asche innerhalb und außerhalb des Friedhofs zu erteilen. Sollte aus dem Entwurf tatsächlich ein Gesetz werden,
wird sich einiges ändern. Vor allem werden dann ein paar Särge weniger verkauft. Dagegen läuft der Landesfachverband
Bestattungsgewerbe NRW e.V. Sturm. Der Verband ruft in seiner „Information für Mitglieder“, Ausgabe II/02 auf:
„Überzeugen Sie Ihren Landtagsabgeordneten vom
Sargzwang. (…)“

Das heißt im Klartext: Überzeugen Sie Ihren Landtagsabgeordneten, Hinterbliebene zum Kauf eines Sarges zu
zwingen!

Die Vertreter des Bestattungsgewerbes mahnen, die Würde der Toten zu wahren und ihnen Wertschätzung auszudrücken.
Doch wer wertschätzt eigentlich die Hinterbliebenen, die den Wunsch haben, den letzten Willen ihrer Toten zu
erfüllen. Den Trauernden wird mit dem Sargzwang vor allem ein Zahlzwang auferlegt.

Das Ende des Sargzwangs bedeutet ja kein Sargverbot. Menschen, die sich eine andere Bestattungsweise wünschen,
sollten die Möglichkeit zu einer Entscheidung haben, die sich nach ihren Bedürfnissen und Vorstellungen richtet
und nicht nach denen der Bestatter und Politiker.

Das Land Nordrhein-Westfahlen geht in eine gute Richtung.

Die Achtung des letzten Willens ihres Mannes war für die Witwe von Franz R. übrigens wichtiger als die Beachtung
eines reformbedürftigen Gesetzes. Seine Asche wurde in aller Stille von Bord der Augusta in den Rhein gestreut.

Fritz Roth