Denkanstoß 54 – Bestatter sein

Das Bergische Land ist meine Heimat. Ich bin dort auf einem Bauernhof aufgewachsen. Als ich sechs Jahre alt war, starb meine Großmutter. Nachdem die Tote von ihren Schwiegertöchtern angezogen worden war, kam sie ins gute Zimmer, in den Raum der Weihnachtsfeste und großen Familienfeiern. Jeder, der bei ihr sein wollte, konnte sie anfassen, den Tod berühren, sehen und riechen. Das Leben im Haus ging weiter! Trauer war eine Sache der Gemeinschaft. Der Tod gehörte ins Alltagsleben. Der Tod war ein ständiger Begleiter, der die Menschen an ihre eigene Sterblichkeit erinnerte und so das Gefühl vermittelte, dass “Lebenszeit” etwas sehr Kostbares war.

Dieses Gefühl wird zu Beginn des 21. Jahrhundert fast völlig verdrängt. Ich will nicht lange darüber philosophieren, warum das so ist. Mein Ziel ist es, den Tod zurück ins Leben zu holen, die Menschen mit Sterben, Tod und Trauer wieder vertrauter zu machen. So will ich dazu beitragen, dass die Menschen aufhören, ihr Leben zu konsumieren, als sei es eine unerschöpfliche Ressource. Ich möchte Menschen die Augen öffnen, dass Leben endlich und dadurch unschätzbar wertvoll ist. Und ich denke, das sollte nicht nur mein Ziel sein, es sollte das Ziel der gesamten Bestatterbranche sein. Denn wer sonst ist den Menschen in einer vergleichbaren Situation so nahe?

Immer mehr Bestatter bieten mittlerweile Trauerbegleitung an und stehen so Menschen in den schwersten Stunden des Lebens mit Rat und Tat zur Seite. Das ist eine gute Entwicklung. Wir Bestatter sollten in Zukunft noch eine weitere gesellschaftliche Aufgabe übernehmen. Wir sind es, die wichtigen “Kulturtechniken” bewahren und vermitteln können. Wir machen die Menschen mit Trauerritualen vertraut, wir geben Zeit und Raum, dem Tod zu begegnen und entscheidende Dinge für das Leben zu lernen.

Ich versuche, Menschen Mut zu machen, sich ihre Toten und die damit verbundenen Gefühle und Erfahrungen von niemandem stehlen zu lassen – egal, ob aus falsch verstandener Dienstleistungsbereitschaft oder aus Gedankenlosigkeit. Wenn ich liebe, trage ich eine “rosa-rote” Brille, die mir ungeahnte Blickwinkel eröffnet. In der Trauer trage ich eine “schwarz-rote” Brille, die mir neue Perspektiven der wirklich wichtigen Dinge des Lebens erschließt. So kann ich in meiner Trauer entdecken, was wirklich wertvoll, oder besser: “voller Werte” ist. Unsere Aufgabe als Bestatter ist es, den Trauernden diese Brille aufzusetzen, ihnen vielleicht dabei zu helfen, sie etwas zu putzen. Das beste “Putzmittel” aber bleiben die eigenen Tränen, die “Reinigungsmittel der Seele”…

Sicherlich werden auch in Zukunft nicht alle Bestatter eine solche Rolle annehmen. Wir beobachten auf der einen Seite einen wachsenden Markt von Billigbestattern, die nicht viel mehr als “Entsorgung” anbieten, und auf der anderen Seite Bestatter, die früher oder später die Rolle des Vermittlers von alten und neuen Bestattungsritualen annehmen werden. Dazu gehört, die Menschen nicht nur anzusprechen, wenn sie einen Verwandten oder Freund betrauern. Wir Bestatter sollten versuchen, die Menschen mitten im Leben zu erreichen, denn wer die eigene Endlichkeit nicht aus den Augen verliert, wird mit seiner Lebenszeit etwas Sinnvolles anfangen. Die Menschen daran zu erinnern, ist eine wichtige Aufgabe.

Bergisch Gladbach im Oktober 2009
Ihr Fritz Roth