Denkanstoß 57 – „Trauerkompetenz“

Als die Erde durch seine Finger rieselte und der Regen auf den Sarg in der Grube prasselte, empfand er nicht nur Trauer, da war auch dieses taube Gefühl der Ratlosigkeit. Paul Neuner hätte sich für seinen Vater einen anderen Abschied gewünscht. Willi Neuner war Sitzungspräsident im Karnevalsverein, er war Vorstand im Fußballclub und regelmäßiger Gast am Stammtisch des Wilden Ecks, der letzten Kneipe im Viertel.

Das Wetter war schlecht, es regnete während des Abschieds am Grab. Gut, dafür konnte niemand was. Dem Wettergott kann man schlecht einen Beschwerdebrief schicken. Ganz schlecht war die Atmosphäre in der Trauerhalle, der Blumenschmuck wirkte wie aus dem Ramschladen, die Beleuchtung erinnerte an eine deprimierende Wartehalle und die Beschläge und Griffe am Sarg sahen übertrieben barock aus und erzählten nicht davon, wie lieb und teuer der Verstorbene der Familie gewesen war, sondern schienen von einem schlechten Gewissen zu zeugen, für das kein Anlass bestand.

Die volle Katastrophe war die Trauerrednerin, die gute Frau betete allerlei Zitate runter, von Dietrich Bonhoeffer, über Mascha Kaléko bis zu Buddha und Jesus Christus war alles dabei, was man schon tausendmal gehört hat. Wenigstens stimmten der Name und das Geburtsdatum von Willi Neuner.

Zum Abschluss wurde dann Time to say goodbye eingespielt, ein Song den Willi gern gehört hatte, der wirklich was mit ihm zu tun hatte. Die katastrophale Klangqualität des Ghettoblasters, auf dem das Lied abgenudelt wurde, verlieh dieser Trauerfeier auf bizarre Weise den letzten Schliff. Dass ein Teil der Trauergemeinde bereits auf dem Weg zum Grab heimlich verschwand, hatte nicht nur mit dem schlechten Wetter zu tun.

Mit der Geschichte von Paul Neuner möchten wir Ihr Bewusstsein für die möglichen Schwierigkeiten bei der Planung einer Beerdigung und den Umgang mit Trauernden schärfen. Immer wieder hören wir von schlechter Betreuung durch Bestatter, wenn nach Gründen gefragt wird, die Trauer erschweren. Der Bestatter zeigt wenig Empathie und scheint mehr Verkäufer denn Begleiter zu sein und er macht Druck, was den Zeitpunkt der Trauerfeier und Beisetzung angeht. Wenn ein Bestatter auf die Tube drückt, dann ist man auf jeden Fall an jemand geraten, dem man keinen Verstorbenen anvertrauen sollte. Den standardisierten 15-30 Minuten-Slot auf dem Friedhof kann man umgehen, in dem man die Abschiednahme an einen anderen Ort verlegt. Man muss nicht in der Leichenhalle Abschied nehmen. Die Urne, ja sogar einen Sarg, kann man auch nach Hause, oder ins Sportlerheim oder die Stammkneipe bringen lassen.

Und auch die zwei Tage und damit viel zu knapp bemessenen Sonderurlaubstage, die nach einem Sterbefall gewährt werden, sind in der Regel zu kurz. In Japan bekommen die Trauernden eine Woche frei, manchmal zahlt die Firma die Beerdigung. Auf jeden Fall gilt, nehmen Sie sich Zeit. Lassen Sie sich nicht drängen. Von keinem Bestatter, von keiner Friedhofsbehörde und auch nicht von Pfarrern und Pastoren. Unsere Erfahrungen decken sich in vielen Punkten mit den Ergebnissen der Studie* aus Japan.

Es tut gut über das Ende zu sprechen, fragen Sie Ihre Angehörigen nach Wünschen und Vorstellungen. Auch während der Trauer kann es entlastend sein, vorher mit einem Sterbenden über den Tod und den Abschied gesprochen zu haben. Auch wenn jemand lange Zeit krank war, sind viele überrascht, wenn Tod dann zur Tatsache wird. Und wenn dann noch Zeitdruck hinzukommt, dann kann es leicht passieren, dass man vergisst, einen Verwandten oder wichtigen Freund einzuladen und das führt dann zu einer Reihe von Nachbeben, die vermieden werden können. Die Angst, jemand zu vergessen, wird in Studien immer wieder genannt.

Auch das Abschiednehmen in aller Stille kann sich am Ende als Fehlentscheidung herausstellen. Etwa 10-20 % der Trauergäste bieten auch nach der Beisetzung Unterstützung an, sind da, wenn man sie braucht. Diese Hilfe kann ausbleiben, wenn man Freunden und Verwandten nicht die Chance gibt, sich zu verabschieden und Anteilnahme zu zeigen.

Eine schöne Atmosphäre auf einer Trauerfeier macht es den Leuten leichter, sich zu öffnen, sich mitzuteilen, Teil der Gemeinschaft zu werden.

Mit Kritik an einer Beerdigung sollte man sich, während jemand in Trauer ist, zurückhalten. Nicht jeder will, dass der Vater oder die Mutter im offenen Sarg aufgebahrt wird. Und man kann es bei der Auswahl der Musik und der Gestaltung einer Trauerrede auch nicht jedem recht machen. Muss man auch nicht. Vielleicht sollte man sich Kritik an dieser Stelle mal sparen.

Die Angst, bei der Beerdigung etwas falsch zu machen, ist groß. Auch das ist ein Ergebnis der japanischen Studie. Wir fragen deshalb genau nach, wer der Tote war, wie er sich den Abschied gewünscht hätte, wie die Angehörigen sich den Abschied vorstellen. Wir nehmen uns Zeit, hören zu, erfüllen „letzte“ Wünsche.

Der Tod ist endgültig. Eine Beerdigung lässt sich nicht wiederholen. Die Gefühle, mit denen man den Friedhof verlässt, sollten von Trauer bis hin zu Glück reichen. Glück, dass es den Verstorbenen gegeben hat, und dass das auf der Abschiedsfeier spürbar war. Das Verhalten der Menschen, die einen Trauernden im Freundes- oder Verwandtenkreis haben, spielt eine große Rolle. Wenn diese Menschen Trauerkompetenz besitzen, kann das sehr hilfreich sein.

Aber was meint Trauerkompetenz? Gehen Sie auf die Trauernden zu, bieten Sie Unterstützung an. Wenn Ihre Hilfe im ersten Moment abgelehnt wird, dann muss das kein endgültiges „Nein“ sein. Schon das Wissen, dass da jemand bereitsteht, kann helfen. Erteilen Sie keine Ratschläge (die manchmal mehr Schläge als Rat sein können), bewerten Sie die Situation nicht, seien Sie einfach da und zeigen Sie, dass Sie den Trauernden in dieser schweren Zeit „aushalten“.

Paul Neuner bekam immer wieder Anrufe von den Stammtischbrüdern, die ihn ins Wilde Eck einluden. Sie hörten zu, als er erzählte, wie schwer die letzten Wochen waren und sie erzählten Geschichten von Willi, der so lebenslustig war und so gerne gefeiert hat.

An einem strahlenden Sonnentag traf sich der Sohn mit den Freunden des Vaters auf dem Friedhof. Die Stammtischbrüder ließen Konfetti auf das Grab regnen und die Box, aus der Time to say goodbye von Andrea Bocelli schallte, hatte einen wunderbaren Klang.

Herzlichst

Hanna Roth           David Roth

* hier können Sie die erwähnte Studie aus Japan lesen

Bergisch Gladbach im November 2023

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