Denkanstoß 59 – „Abgereist”

Manfred Elzenheimer war ein stattlicher Mann, Metzgermeister mit Leib und Seele, der das Wohl seiner Kunden im Blick hatte, aber auch, so merkwürdig es vielleicht klingen mag, das Wohl der Tiere, die er töten musste, um ihr Fleisch in Lebensmittel zu verwandeln. Das Wort Lebensmittel hatte für ihn einen besonderen Klang. Immer wieder trennte er die Begriffe, die in diesem Wort stecken und drehte sie um: Mittel zum Leben!

In einer Welt, in der die Anonymität der Schlachthöfe und die Industrialisierung der Fleischproduktion zunahmen, blieb er standhaft und kämpfte für die Rückkehr zu den Wurzeln seines Handwerks. Der Metzgermeister beobachtete viele Jahre lang mit großem Unbehagen, wie sich seine Branche veränderte. Er forderte, dass Menschen, die Fleisch essen, wissen müssen, wo es herkommt, wie die Tiere aufgewachsen sind und wie sie in den letzten Stunden vor ihrem Tod behandelt wurden.

Wo andere nur redeten, handelte Manfred Elzenheimer. Er machte sich auf den Weg ins Burgund, um eine kleine Herde Charolais Rinder zu kaufen. Er siedelte die Tiere auf seinem Bauernhof im idyllischen Westerwald an. Dort durften die Kühe, Bullen und Kälber frei grasen, nie wurden sie angebunden, nie eingesperrt. Die Herde wuchs und irgendwann hatte Manfred Elzenheimer nicht mehr nur 30, sondern 800 Tiere auf seinen Weiden.

Immer wenn Tiere geschlachtet werden mussten, tat er es persönlich. Er holte die Rinder von der Weide, führte sie ins Schlachthaus und tötete sie. Er wusste, dass jedes geschlachtete Rind ein Opfer war, das respektiert werden musste.

Manfred Elzenheimer liebte seinen Beruf, ja, aber er liebte auch die Tiere. Liebe war für ihn nicht nur ein Gefühl, sondern auch Tat. Für ihn hatte Tat mit Respekt und Dankbarkeit zu tun.

Als er uns damals seinen Koffer für die letzte Reise überreichte, war die Überraschung groß. In diesem Koffer waren keine materiellen Dinge, sondern Worte – Worte, die uns berührten und zum Nachdenken brachten. „Liebe“, „Danke“, „Entschuldigung“ und „Nein“. Vier Worte, die die Essenz seines Lebens einfingen.

„Liebe“, „Danke“ und „Entschuldigung“ sind Worte, bei denen man sofort ahnt, was damit gemeint sein könnte und warum er diese Worte in den Koffer tat. Das Wort “Nein” überraschte uns. Doch Manfred erklärte, dass “Nein” oft genauso wichtig ist wie “Ja”. „Nein“ schafft Klarheit, es setzt Grenzen, es öffnet Raum für Neues. „Nein“ ist keine Unhöflichkeit, sondern eine Notwendigkeit.

Manfred Elzenheimer ist gestorben, nicht zu Hause im Bett, nicht im Krankenhaus, nicht in seiner Wurstküche, wo er sterben wollte. Manfred Elzenheimer ist unterwegs gestorben auf einer Reise. Er saß im Zug, schloss die Augen und war tot.

Er  hat in seinem Leben viel über die letzte Reise nachgedacht, weil der Tod ihm in seinem Alltag täglich begegnet ist. Dass er selbst unterwegs gestorben ist, klingt wie ein Märchen, ist aber auf wunderbare Art und Weise wahr und heute sagen wir „Nein“.

„Nein“ zum Vergessen. Wir sagen „Ja“ zur Erinnerung an einen außergewöhnlichen Mann, von dem wir viel über Liebe, Respekt und den Tod gelernt haben.

Gute Reise, Manfred.

Herzlichst

Hanna Roth                                        David Roth

Bergisch Gladbach im Mai 2024

 

Mehr zu unserer Ausstellung „Ein Koffer für die letzte Reise“ finden Sie hier auf unserer Seite

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