Denkanstoß 59 – Pietätlos

Immer mal wieder lesen wir in den Zeitungen Artikel über Betrugsfälle in der Bestattungsbranche. Meistens wird das Geschehene mit den Begriffen “bizarr” und “pietätlos” skandalisiert: “Mitarbeiter des Krematoriums stehen unter Verdacht, Zahngold aus der Asche Verstorbener entwendet zu haben. Ein Bestattungsunternehmen soll Leichen vor der Feuerbestattung aus Luxus-Särgen in Billig-Schreine verfrachtet haben. Wertvolle Griffe und Beschläge wurden von Särgen abmontiert (…).”

Die häufige Verwendung der Bezeichnung “bizarr” ist wohl der Tatsache geschuldet, dass alles was mit Tod zu tun hat, den meisten Menschen fremd geworden ist. Der Tod begegnet uns beinahe nur noch in den Medien und hier ist die Darstellung in Spielfilmen aber auch in vielen Nachrichtensendungen wirklich bizarr – hat aber mit dem richtigen Leben oft rein gar nichts zu tun.

Den Begriff “pietätlos” liest man auch fast immer, wenn es um Gaunereien geht, die in der Bestattungsbranche vorkommen – übrigens nicht häufiger aber auch nicht seltener als in anderen Branchen. Pietät ist abgeleitet vom lateinischen pietas (Frömmigkeit, Pflichtgefühl). Respekt und Ehrfurcht sind ebenfalls treffende Übersetzungen. Das Wort hatte in der Antike viele Bedeutungen, die unter “das pflichtbewusste Benehmen gegenüber Mensch und Gott” zusammengefasst werden können, also z. B. auch Demut. (1) Diese Übersetzungen gefallen mir. Wichtige Wörter, vor allem dann, wenn es um Abschied von einem Toten geht. Ich rate Trauerden ihre Toten selbst zu waschen und anzuziehen. Respekt, Ehrfurcht aber auch Demut bekommen in diesem Zusammenhang einen ganz wunderbaren Nachhall.

Jemanden selbst in den Sarg zu betten, kann ein Zeichen großer Liebe sein. Den Sarg bis ins Krematorium zu begleiten und bis zur Einäscherung in der Nähe des Toten zu bleiben – was vom Gesetzgeber aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht gestattet wird – wäre für mich ein liebevolles Zeichen der Verbundenheit und der gegenseitigen Verantwortung über den Tod hinaus.

Im Leben würden wir Liebe, Verbundenheit und Verantwortung nie an einen Fremden delegieren. Im Tod ist es mittlerweile eine Selbstverständlichkeit. Leider! Wir lassen uns alle Entscheidungen abnehmen, beauftragen Bestatter und folgen blind den Anordnungen der Behörden. Dabei wäre es einfach, das was getan werden muss, selbst in die Hand zu nehmen. Man muss es nur tun. Ich rate dazu.

Wenn über Tod und Bestattung geschrieben oder in den elektronischen Medien berichtet wird, sollten in den Artikeln und Filmen unsere Trauerkultur, die verschiedenen Formen der Abschiednahme, der Umgang mit Trauer und Trauernden mehr in den Blickpunkt rücken.

Im Krematorium gestohlenes Zahngold und ausgetauschte Särge, also die bizarren und pietätlosen Taten von Betrügern, müssen verfolgt und darüber muss auch berichtet werden. Aber eben nicht nur. Dass man den Verstorbenen in der Regel nicht ins Krematorium begleiten und die Verbrennung selbst in Gang setzen kann, finde ich ebenfalls skandalös – und damit berichtenswert. Man muss einen geliebten Menschen auch auf diesem letzen Weg begleiten dürfen.

Dass Gaunereien dann seltener würden, soll nicht unerwähnt bleiben, wäre aber nur ein Nebeneffekt.

Bergisch Gladbach im Oktober 2010
Ihr Fritz Roth