Denkanstoß 64 – Leichen im Keller

Leichen im Keller…
…und keiner weiß, wer die Toten sind, könnte man diesen Satz zu Ende führen. Aus den Medien war zu erfahren, dass sich im Keller des anatomischen Instituts der Uni Köln die Leichen stapeln. Schnell war von einem „Medizinskandal“ und von „Bestattungsrückstand“ die Rede. Wie SPIEGEL ONLINE berichtete, wurden Dutzende Leichen, die dem Institut zu Lehrzwecken gespendet wurden, nicht oder zu spät bestattet. Derzeit müssten noch 27 Leichen beigesetzt werden, war vom Dekan zu hören.

Angeblich war der Amtswechsel in der Fakultät Auslöser, dass genauer hingeschaut und dabei festgestellt wurde, dass die Identität der einen oder anderen Leiche im Keller nicht bekannt war und auch nicht nachvollzogen werden konnte. Andere Aussagen bezeugen, dass dieser Zustand schon länger den Verantwortlichen bekannt gewesen sei. Die Staatsanwaltschaft wurde informiert. Aber die Ermittler schüttelten die Köpfe: Nein, die Totenruhe wurde nicht gestört und eine Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener liegt auch nicht vor. Also, was ist zu tun? Die Sache schnell vergessen und zur Tagesordnung übergehen?

Aus der Presse wird dieser Fall schnell wieder verschwunden sein. Im anatomischen Institut wird er noch lange in Erinnerung bleiben, denn der sogenannte „Medizinskandal“ hat einen Toten gefordert. Der ehemalige Leiter des Instituts hat sich das Leben genommen. Wie der Kölner Stadtanzeiger schreibt, hat der 66-jährige laut seiner Familie keinen Ausweg mehr gesehen, weil die Vorwürfe im Zusammenhang mit seiner Arbeit zu massiv gewesen seien. Der Pressesprecher der Uni wird mit den Worten zitiert. „Es ist eine menschliche Tragödie (…) Wir müssen nun erst einmal intern klären, wie wir damit umgehen.“

Das Geschehene zeigt uns noch einmal in aller Deutlichkeit, dass es für Menschen, die an der Schnittstelle des Lebens arbeiten, neben der beruflichen Aufgabenverantwortung eine persönliche Achtsamkeit gibt. Professionen, wie z.B. die Ärztinnen und Ärzte am anatomischen Institut der Uni Köln, aber auch Pflegepersonal und die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Bestattungshäusern, Friedhöfen oder Krematorien müssen die Gelegenheit haben, sich bewusst mit ihrer Arbeit auseinanderzusetzen, zu reflektieren, dass sie es bei Toten nicht mit einer Sache oder einer Ware zu tun haben, sondern, dass es sich um Menschen handelt.

Achtsamkeit ist hier ein wichtiges Stichwort. Achtsam mit dem Toten umgehen. Aber auch achtsam sein mit sich selbst und den Kolleginnen und Kollegen. Hier sind die Vorgesetzten von Menschen, die täglich mit dem Tod konfrontiert sind, gefordert. Rücksichtnahme, Offenheit und ein sensibler Blick sind wichtig. Tod braucht Würde und die darf niemals auf der Strecke bleiben.

Den Leitern von Krematorien, von Bestattungshäusern, von Pathologien oder von Friedhöfen sollte klar sein, dass sie nicht nur Verantwortung für die Toten und deren Angehörige tragen, sondern auch für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Haben die Mitarbeiter Gelegenheit über ihre Arbeit, besonders aber über ihre Gefühle und eventuelle Ängste zu sprechen? Der würdevolle Umgang mit den Toten fängt bei den Lebenden an. Firmen, Behörden und auch medizinische Fakultäten brauchen eine Art „Unternehmensphilosophie“ für den Umgang mit dem Tod.

Einige Studenten der Medizinischen Fakultät haben vor das Anatomische Institut Blumen gelegt. Sie trauern um ihren Professor, der am öffentlichen Druck zerbrochen ist. Sie wollen seine Ehre wieder herstellen. Eine versöhnliche Geste. Ich hoffe, dass der Umgang der Studenten mit dem Tod des Professors der Familie in dieser schweren Stunde etwas Trost spenden kann.

Herzlichst,
Ihr Fritz Roth
Bergisch Gladbach im Februar 2012