Denkanstoß 60 – „Turbotrauer”

Ein Grund, warum wir den Tod eines geliebten Menschen als so schmerzhaft empfinden, ist die Endgültigkeit des Abschieds, die mit der Tatsache, dass wir sterben, verbunden ist. Wir werden diesen einen Menschen in diesem Leben nicht mehr wiedersehen. Wir werden nicht mehr mit ihm lachen, sein Rat wird uns fehlen, genauso wie der Streit und die Versöhnung, die zum Leben dazugehören. Um den Tod mit allen Sinnen zu begreifen, sollten Trauernde sich Zeit nehmen und auf gar keinen Fall die Beerdigung schnell hinter sich bringen. »Begreifen« bedeutet für uns im wahrsten Sinne des Wortes, eine sinnliche Erfahrung zu machen. Raum und Zeit sind hier wichtig. Raum, in dem man sich mit dem Toten aufhalten kann, und Zeit für einen Abschied, der Trauerrituale wie das Waschen und Einkleiden des Verstorbenen möglich macht.

Vorsicht vor »Experten«, die den Ratschlag geben, den Toten sofort unter die Erde zu bringen oder ins Krematorium transportieren zu lassen. Manchmal sitzen Trauernde dann einige Tage später vor einer Urne und können nicht fassen, dass da der Verstorbene drin sein soll. In solchen Ratschlägen stecken oft mehr Schläge als Rat. Unserer Meinung nach wird oft zu schnell beerdigt. Es wird leider immer wieder zu einer schnellen »Entsorgung und Beseitigung des Problems« geraten. Nicht in unserem Bestattungshaus. Hier ist der Tod kein »Problem«, das schnell gelöst werden muss. Der Tod lehrt uns, das Leben zu schätzen und zu lieben. Er lässt uns begreifen, dass das Leben endlich ist und jede Minute kostbar. Also lassen Sie sich im Trauerfall nicht drängen. Wenn Sie das Gefühl haben, mehr Zeit für den Abschied zu brauchen, nehmen Sie sich die Zeit. Wir raten hier ausdrücklich zu zivilem Ungehorsam. Sie werden spüren, wenn es an der Zeit ist, den Leichnam wegzugeben. Entscheiden Sie selbst, auch über die Art der Bestattung.

Manchmal lohnt es sich zurückzuschauen. Es ist noch keine hundert Jahre her, da wurden Tote von ihren Verwandten angezogen, sie kamen ins gute Zimmer, in den Raum der Weihnachtsfeste und großen Familienfeiern. Freunde und Familienmitglieder waren den Toten nahe, sie konnten sie anfassen, den Tod berühren, sehen und riechen. Das Leben im Haus ging weiter! Trauer war eine Sache der Gemeinschaft. Der Tod gehörte ins Alltagsleben. Der Tod war im wahrsten Sinne des Wortes ein ständiger Begleiter, der die Menschen an ihre eigene Sterblichkeit erinnerte und so das Gefühl vermittelte, dass Lebenszeit etwas sehr Kostbares war.

Dieses Gefühl wird heute fast völlig verdrängt. Unser Ziel ist es, den Tod zurück ins Leben zu holen, die Menschen mit Sterben, Tod und Trauer wieder vertrauter zu machen. Den »Turbo« im wahrsten Sinne des Wortes rauszunehmen. So können wir ein wenig dazu beitragen, dass die Menschen aufhören, ihr Leben zu konsumieren, als sei es eine unerschöpfliche Ressource. Wir möchten Menschen die Augen öffnen, dass das Leben endlich und dadurch unschätzbar wertvoll ist.

Wir versuchen, Menschen Mut zu machen, sich ihre Toten und die damit verbundenen Gefühle und Erfahrungen nicht wegnehmen zu lassen. Im Gegenteil, wir machen die Menschen mit Trauerritualen vertraut. Wir geben Zeit und Raum, dem Tod zu begegnen und entscheidende Dinge für das Leben zu lernen.

Herzlichst

Hanna Roth                                        David Roth

Bergisch Gladbach im August 2024

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