Denkanstoß 62 – Stephan Müller

„Hallo, mein Name ist Stephan Müller …“ so lautet der Begrüßungstext einer ganz besonderen Website „…und ich lade Euch ein, mit in mein Leben zu fahren – bis zu meinem Tod durch einen Motorradunfall.“ Es dauert eine Weile, bis man die Bedeutung dieser Zeilen ganz erfasst hat. Da spricht jemand zu mir, der nicht mehr lebt.

Die Website http://www.der-motorradunfall.de/ wurde von Stephan Müllers Eltern ins Netz gestellt. Alfred &Dorothea halten damit Ihre Erinnerung an den geliebten Sohn lebendig. Ihre Erinnerung an einen wunderbaren Menschen: „Ich lebte mit meiner Frau sehr bescheiden. Durch meine Hilfsbereitschaft hatte ich viele Freunde aus Schule, Studium und Beruf. Ich verstarb im Alter von 37 Jahren. Nachdem ich meine Schule mit Abitur, die Kfz-Lehre und den Dipl.-Ing.-Abschluss und Abschluss-Prüfung vor dem Land NRW zu Ende gebracht habe war ich als selbstständiger Prüfungsingenieur für Autos und Motorräder tätig. Das erste Wort, welches ich sprechen konnte war Auto. Leider war es auch ein Auto, welches mein Leben beendete.

Auf der Website sind Fotos von Stephan zu sehen. Man sieht einen freundlichen, nachdenklichen Mann. Er wirkt wie jemand, der zupacken kann, der hilfsbereit ist. Jemand, auf den man sich verlassen kann. Jemand, der unendlich fehlt, wenn er auf einmal nicht mehr da ist.

Es war Freitag vor Pfingsten. Endlich geht es zum Treffen mit Motorrad- und Autofans nach Frankreich. Sie hatten sich in Aachen getroffen : Stephan mit Freunden zum Pfingstwochenende.

Von Aachen aus führte ihr Weg durch Belgien. Sie fuhren in Kolonne. Vier Motorräder mit Seitenwagen, Stephan an der Spitze, gefolgt von einem LKW Hanomag als Wohnmobil umgebaut.

Dann passierte es auf der Autobahn A 3 in der Nähe von Malmedy, Kilometer 106,3. Die Kolonne fuhr ca. 70 km schnell auf der rechten Seite der dreispurigen Autobahn in Richtung Brüssel. Ein VW- Bus, besetzt mit Fahrer und acht Jugendlichen überholte die Kolonne auf der mittleren Fahrspur mit ca. 120 km Geschwindigkeit und fuhr Stephan hinten auf. Nach ca. 115 m kam das Fahrzeug zum stehen. Stephan fand man unter dem VW Bus eingeklemmt liegen.

Die versuchte Hilfe war vergeblich. Die im Beiwagen sitzende Frau blieb fast unverletzt. Es gab keinerlei Einflüsse von außerhalb wie Regen, Sonne, andere Verkehrsteilnehmer oder irgendwelche technische Mängel.

Natürlich ist auf dieser Website von Trauer die Rede, und von Verlust. Der tägliche Gang zum Friedhof gehört für Stephans Eltern zum festen Ritual. Trost erfahren sie durch die mitfühlenden Einträge im Gästebuch. Es werden auf http://www.der-motorradunfall.de/ auch Wahrheiten ausgesprochen, für die sonst kaum Raum bleibt:
Die Dauer des Verfahrens bis zum Urteilsspruch hat die Angehörigen zusätzlich belastet. Warum muss das Gericht so neutral sein bis zur Unmenschlichkeit? Besonders erschwerend ist auch, dass sich der Verursacher bis heute noch nicht bei den Angehörigen persönlich gemeldet hat.

Dieses Gefühl öffentlich zu machen und mit anderen zu teilen, kann die Wunden nicht heilen, aber es kann den Schmerz über den Verlust lindern. Ich finde es beeindruckend, wie Stephans Eltern mit dem Verlust umgehen. Für mich sind Alfred & Dorothea Vorbilder. Sie geben uns die Chance Stephan kennenzulernen. Wenn man die Website angeschaut hat, kann man verstehen, warum sie so traurig sind.

Bergisch Gladbach im Juni 2011,
Ihr Fritz Roth