Denkanstoß 63 – „Ich habe alles geregelt – für mich. Und für dich.“

Ulla hatte nicht damit gerechnet. Nicht an diesem Morgen, nicht in diesem Jahr, nicht so plötzlich. Ihre Mutter Franziska war schon lange nicht mehr gut zu Fuß, aber sie hatte sich immer wieder aufgerappelt. War ins Theater gegangen, zum Markt, hatte bei ihrer Schachrunde den Ton angegeben. Sie war alt, ja. Aber sie war nicht krank. Vielleicht hat Ulla genau das so überfordert: dass es keinen Abschied gab, keinen Prozess, kein langsames Loslassen, kein Nachdenken über das Ende.
Sondern nur dieses eine Telefonat am frühen Abend, mit dem Satz, der alles veränderte: „Ihre Mutter ist gestorben.“

Ulla war plötzlich nicht nur trauernde Tochter, sondern sollte Entscheidungen treffen – über Dinge, über die nie gesprochen worden war. Die Frage, die ihr die Bestatterin stellte, kam wie aus dem Nichts: „Hatte Ihre Mutter bestimmte Vorstellungen für ihre Beerdigung?“

Ulla hatte keine Antwort. Keine Musik, keinen Ort, keine Worte. „Ich wusste nicht einmal, ob sie in einem Sarg beerdigt oder verbrannt werden wollte.“

Silke und Ulla sind Freundinnen seit der Schulbank. Silke war immer die Ruhige, die mit dem ordentlichen Mäppchen und dem Pausenbrot in der Tupperdose. Heute ist sie Mitte 50 und hat, wie sie sagt, „endlich aufgeräumt“.
Das hat sie sich vorgenommen: aufräumen, noch bevor etwas passiert. Nicht erst, wenn eine Diagnose sie dazu zwingt. Sondern weil sie das Leben liebt – und genau deshalb Frieden mit dem Ende schließen will.
„Ich habe alles geregelt,“ sagt sie leise, „meine Tochter soll nicht rätseln müssen.“

Bestattungsvorsorge ist ein seltsames Wort. Es klingt nach Aktenordner, nach Formularen, nach etwas, das man aufschiebt. Und doch steckt darin ein Gedanke, der berührt: dass wir bis zum Schluss selbst bestimmen dürfen. Dass unser letzter Weg Ausdruck dessen sein kann, was uns wichtig war.

Selbstbestimmung beginnt im Kleinen – und endet nicht mit dem Tod. Die Vorstellung, dass unsere letzte Reise unsere Handschrift trägt, kann trösten. Sie kann Klarheit schaffen.

Ulla erinnert sich an die Tage nach dem Tod ihrer Mutter wie an einen Marathon. Fragen über Fragen. Welche Musik? Welche Blumen? Welche Kleidung für den letzten Weg? Und immer wieder die Unsicherheit: „Würde sie das wollen? Oder würde sie den Kopf schütteln?“

Trauer ist schwer genug. Wenn dann auch noch Entscheidungen getroffen werden müssen, für die es keine Grundlage gibt, kommt zur Trauer Überforderung. Viele Angehörige beschreiben diese Zeit als doppelt belastend: Sie müssen loslassen, obwohl sie festhalten wollen.

Eine Vorsorge kann einen Teil des Drucks nehmen. Sie schafft Raum für das Wesentliche: das Trauern, das Erinnern, das Verabschieden.

Silke hat sich Zeit genommen. Sie hat darüber nachgedacht, wie ihr Abschied aussehen soll. Kein großer Pomp, sagt sie. Aber auch keine Leere. Musik soll laufen, die sie liebt. Kein Time to say goodbye, sondern eine Ballade von Leonard Cohen. Und ja, sie möchte eine Urne. Aber nicht irgendeine – es gibt da eine Keramikerin, deren Arbeiten sie seit Jahren sammelt.

All das hat sie festgehalten. Nicht, weil sie bald stirbt. Sondern weil sie lebt. Weil sie weiß, dass sie eines Tages gehen wird. Und weil sie möchte, dass dieser letzte Moment so sehr zu ihr passt wie das Leben, das sie geführt hat.

Viele Menschen schrecken vor dem Thema Vorsorge zurück, weil sie denken: Das kostet doch alles ein Vermögen. Oder: Wer weiß, ob das Geld dann noch da ist, wenn es gebraucht wird? Dabei gibt es heute Möglichkeiten, genau das sicher zu regeln.

Treuhandkonten zum Beispiel – zweckgebunden, transparent, geschützt. Oder eine Sterbegeldversicherung, die die vereinbarten Kosten abdeckt. Beides kann individuell angepasst werden. Und beides nimmt Angehörigen die Sorge, plötzlich vor hohen Ausgaben zu stehen.

Silke hat sich beraten lassen. Sie hat sich alles erklären lassen, mehrfach nachgefragt. Heute weiß sie: Ihre Tochter muss sich um nichts kümmern. Nicht um Geld, nicht um Formulare. Nur um das, was dann zählt: Abschied nehmen.

Es mag paradox klingen, aber Vorsorge ist nicht nur ein Dienst an den Hinterbliebenen. Sie ist auch eine Einladung, sich selbst zu begegnen. Wer darüber nachdenkt, wie er bestattet werden möchte, stellt sich ganz automatisch auch die großen Fragen: Wer bin ich? Was war mir wichtig? Was bleibt?

Manche schreiben einen Brief an die, die zurückbleiben. Andere gestalten ein Erinnerungsbuch. Wieder andere nehmen sich vor, noch ein letztes Fest zu feiern – solange sie können.

Silke hat durch die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Endlichkeit das Leben neu sortiert. „Ich habe viel liegen lassen in den letzten Jahren. Jetzt merke ich: Ich will nichts aufschieben. Nicht die Reise nach Irland. Nicht das lange Gespräch mit meiner Schwester. Nicht die Klavierstücke, die ich früher so gern gespielt habe.“

Vielleicht ist genau das der größte Gewinn: dass wir, wenn wir uns mit dem Tod beschäftigen, das Leben klarer sehen.

Ulla hat durch den Tod ihrer Mutter gelernt, Fragen zu stellen – auch unbequeme. Sie hat mit ihrem Vater gesprochen. „Ich habe Angst gehabt, das Thema anzusprechen.“ Silke hat sie unterstützt. Nicht mit großen Worten, sondern mit Zuhören. Und mit der Geschichte ihrer eigenen Entscheidung.

Vielleicht ist das das größte Geschenk, das wir einander machen können: nicht zu schweigen, wenn es ums Sterben geht. Sondern leise Worte zu finden. Und damit das Leben zu feiern – bis zuletzt.

Wer heute vorsorgt, nimmt den anderen für morgen die Last.
Und schenkt sich selbst etwas ganz Besonderes: das gute Gefühl, vorbereitet zu sein – für das Leben. Und für das, was danach kommt.

 

Herzlichst

Hanna Roth                                    David Roth

Bergisch Gladbach im Mai 2025

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